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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Autoren: Barbara Honigmann
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unausstehlicher, Jude ist, vielleicht ist essogar ein phylogenetischer Reflex, da sich doch Artgenossen untereinander nicht auffressen. Gleichzeitig hat das aber oft auch eine ziemlich unerträgliche, plumpe Vertrautheit zur Folge, wie sie einem zum Beispiel in jedem koscheren Restaurant der Welt, egal welcher Preisklasse, entgegenschlägt; mich jedenfalls berührt sie jedes Mal unangenehm. Ein cartoonist hat diese Distanzlosigkeit einmal in einer Szene eingefangen, in der eine Frau zur anderen sagt, ach so, Sie sind auch jüdisch, da hätte ich ja nicht die ganze Zeit so höflich tun müssen.
    Dennis’ Familie kommt aus dem Irak, wie er mir gleich noch im Flur mitteilt, und er ist mir fast um den Hals gefallen, als ich ihn daraufhin gewissermaßen als »Babylonier« erkenne, also einen, der weder aschkenasisch noch sefardisch ist, was amerikanische Juden, die sowieso selten einen Nicht-Aschkenasen zu Gesicht bekommen, einfach nicht kapieren können. Nach ihrer Meinung ist jeder, dessen Vorfahren nicht aus Osteuropa eingewandert sind, naturgemäß ein Sefarde.
    Und dann habe ich Dennis auch gleich noch meinen alten Laptop vorgeführt, bei dessen Anblick er zu lachen anfing – so ein antikes Stück hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Und noch mehr lachte er, weil ich immer he sagte, wenn ich vom Laptop und seinen Macken sprach, und es doch it heißen muß, weil er ja unbelebt ist.
    Bei diesem clash of civilisations mußte ich an Peters erstenBesuch in New York denken. Kaum, daß wir die DDR verlassen hatten, war er, sozusagen als authentischer Ostjude, zu einem Auftritt bei der Jahres-Gala der Aguda Israel nach New York eingeladen worden, und dort war es, daß er zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt einen PC sah. Das historische Ereignis in einem Brief festgehalten:
     
    New York, 14. April 1984
     
    Meine Liebe,
    Du mußt Dir jetzt folgendes vorstellen: Ich sitze am Schreibtisch des Chairman der Aguda, der auch noch Rabbi Sherman heißt, vor einem Bildschirm, der wie ein Fernsehapparat aussieht, und tippe mittels einer Schreibmaschinentastatur diesen Brief ein. Was ich eintippe, erscheint auf dem Bildschirm, und ich kann alle meine Tippfehler sofort korrigieren. Wenn ich mit dem Eintippen fertig bin, kann ich mir den gesamten Brief am Bildschirm noch einmal anzeigen lassen, und wenn ich mit ihm zufrieden bin, lasse ich ihn ausdrucken, stecke ihn in einen Briefumschlag und schicke ihn los. Sie nennen den Schreibfernseher PC, das ist die Abkürzung von Personal Computer. Bis jetzt habe ich in meinem Leben immer nur zimmergroße Rechner und Schränke voller Lochkarten als elektronische Datenverarbeiter gesehen. Im VEB Robotron in Dresden!
    Obwohl ich ja seit meiner Ankunft in New York nun schon einiges gesehen habe, was ich vorher nur vom Hörensagen kannte, z.B. Wolkenkratzer und fromme Juden, ist das doch die größte Sensation, dieses Ding da, auf dem ich Dir gerade den Brief schreibe.
    Mein Auftritt beim Annual Dinner der Aguda Israel, dem 62sten, wie überall auf großen Plakaten zu lesen ist, fand im Hilton Hotel, gleich neben dem Rockefeller Center, mitten in Manhattan statt. Wenn ich daran denke, daß wir vor vier Wochen noch in der Greifswalder Straße mit dem Kohlenanzünder rumhantierten, um den Ofen anzuwerfen, und wie Urmenschen auf Nahrungssuche gehen mußten, wenn auch nicht zum Überleben, so doch nach dem Schnittlauch, oder war’s die Petersilie, für den Salat, jedenfalls das Extra, für das man nach Brecht eigentlich lebt. Also Salat und Petersilie gabs im Hilton Hotel genug und jede Menge Braten und Wein dazu, alles natürlich koscher. Ich wurde als special guest with a fascinating story vorgestellt, um nicht zu sagen vorgeführt. Dabei war ich nur ein Lückenbüßer für die russischen Juden, von denen im Moment keiner aus der Sowjetunion herausgelassen wird, was in den zahlreich folgenden Reden der Aguda-Rabbis und anderer Honoratioren immer wieder heftig von »Mister Breshnew« eingeklagt wurde.
    Ein bißchen komme ich mir vor wie Gulliver im Land der Riesen, vom Stadtbild abgesehen ist auch alles Jüdische hier so groß, so üppig, so wohlhabend und so selbstverständlich, so zahlreich. Ich frage mich, ob das noch das Exil ist?
    Darüber wage ich aber mit niemandem zu reden, statt dessen muß ich ja die ganze Zeit von uns und unserem Leben erzählen, es hängt mir schon ziemlich zum Halse heraus: daß wir echte Juden sind und richtige Deutsche, daß unsere Eltern freiwillig nach
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