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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Autoren: Barbara Honigmann
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schließlich nicht umsonst legendäre Helden. Statt dessen schaue ich die beiden Kerzen einfach an. Damit ist mein Schabbes zwar nicht rabbinisch, aber brandschutzmäßig gesichert.
    Am Samstag regnet es zuerst sehr stark, es schüttet wie aus Kannen, gegen Mittag aber glänzt das überirdische Licht schon wieder am azurblauen Himmel, das Fieber ist gefallen, und ich fühle, wie mir wieder Energie zuwächst und Lebenssehnsucht, die mich aus dem Bett springen läßt, als würde ich sonst gerade in dieser Stunde etwas Wichtiges und Dringendes verpassen. Ich laufe durch die Broadwayschlucht nach Süden, dem Licht nach, dorthin, wo es vielleicht verborgen ist. In SoHo sind die Straßen so packed , daß ich mich schon wieder frage, was denn wohl los ist, aber an der Canal Street, wo dann endgültig Fußgänger-und Flanierstau ist, begreife ich, es ist Markt, einfach Markttag. Ich kann buchstäblich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Wie viele Völkerschaften in wie vielen Sprachen hier handeln, wird auch für die kommende Welt verborgen bleiben. Alle möglichen Leute strecken mir Dinge entgegen, die ich in ihren Einzelheiten gar nicht mehr wahrnehmen kann, weil mich vor soviel Menge und Masse Panik befällt, ich habe Angst, in diesem Schreien und Brüllen, geschubst und geschoben, ewig steckenzubleiben. So stelle ich mir eigentlich New Delhi vor. An irgendeiner Street schaffe ich es endlich, einen Haken zu schlagen, die Mengen und Massen lockern sich etwas, so daß ich wieder vorwärts komme. Weil Schabbes ist, laufe ich ohne Tasche herum. Über das Problem des Trageverbots am Schabbes in Manhattan wird seit ungefähr hundert Jahren gestritten. Manche Rabbiner erkennen die natürlichen Eingrenzungen der Insel als Eruw, als Sabbatgrenze, an, innerhalb derer das Tragen erlaubt ist, was von anderen, wie nicht anders zu erwarten, bestritten wird, zuletzt von Raw Mosche Feinstein, der letzten von (fast) allen religiösen Juden der Welt anerkannten Autorität. Straßburg hat einen Eruw , aber Manhattan hat keinen. Die jüdischen neighbourhoods in Brooklyn haben sich natürlich alle seit Jahrzehnten mit Eruwim umgeben. Eruwim ist der Plural von Eruw . Ich habe wieder einen rabbinisch nicht ganz abgesicherten Kompromiß fürmich gefunden: Das existentiell Nötigste habe ich einfach in die Manteltasche gesteckt, also Schlüssel, Brille und Taschentuch, und auf die Handtasche mit dem Nebensächlichen verzichtet, Geld, Stadtplan und Lippenstift.
    Je weiter ich nach Süden komme, um so höher werden die Häuser wieder, wachsen zu Hochhäusern, schließlich zu Wolkenkratzern. Mir wird klar, daß ich auf Ground Zero zusteuere. Da wollte ich überhaupt nicht hin. Diesen Ort wollte ich meiden, wie ich alle Gedenkorte meide, seit wir mit der Schulklasse Buchenwald besichtigt haben; eine größere Peinlichkeit und Falschheit habe ich in meinem ganzen Leben nicht mehr erlebt. Ich weiß einfach nicht, was ich an einem Gedenkort machen, wie ich stehen, wohin ich gucken und was ich tun soll.
    Jeder erzählt dir hier seinen Nine Eleven spätestens eine Stunde, nachdem du ihn kennengelernt hast, denn die meisten hier im Village haben es ja aus dem Fenster mit angesehen, und jeder kennt einen, der es aus noch größerer Nähe erlebt, überlebt oder leider nicht überlebt hat. Mein Cousin Daniel arbeitet hier in einer nahe gelegenen Bank, und ich habe damals wie eine Verrückte nach New York angerufen, wie alle anderen auch, die einen Verwandten oder Bekannten oder Freund oder Kollegen dort haben. Natürlich waren alle Leitungen besetzt und kein Durchkommen, und dazu versuchte ich immer noch gleichzeitig in Israel anzurufen, weil Ruben dort geradestudierte, und wer konnte denn wissen, was sonst noch passieren würde, aber auch nach Israel waren alle Leitungen besetzt, weil sich darin alle besorgten Mütter, Verwandten und Freunde stauten. Es war das erste und letzte Mal, daß ich auf zwei Telefonen gleichzeitig telefonierte, freilich ohne Erfolg, denn die Technik war mit den Nerven gleichzeitig zusammengebrochen.
    Die weit abgesperrte Grube, wo sich einmal die Twin Towers erhoben, sieht eigentlich wie eine normale Baustelle aus, und es werden auch keine T-Shirts oder Ansichtskarten verkauft, es gibt keine Händler, keine Aufregung und keine Weihe oder sonst eine Erhebung, vor der ich mich so fürchte, kein Wort, keine Schrift, kein Bild, kein Klang, nur ein paar Menschen, die ziemlich desorientiert herumlaufen, manchmal stehenbleiben und
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