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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Autoren: Barbara Honigmann
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ihren Augen nicht trauen. In der wunderbarerweise verschonten kleinen St. Pauls Chapel gleich gegenüber gibt es eine Ausstellung, die ich mir dann doch anschaue. Sie ist so naiv und dilettantisch hergerichtet, daß ich ein bißchen weinen muß, wie alle anderen auch.

Clash of civilisations
    Im Lift des Pei-Towers trifft man, falls es nicht Besucher sind, immer nur Leute von der New York University, denn zwei der drei Towers werden von ihr an Mitarbeiter vermietet, den dritten Tower hat die Stadt, als sie die Genehmigung zum Bau der drei Hochhäuser erteilte, Sozialwohnungen vorbehalten. Große Teile dieses südlichen Teils von Manhattan sind im Besitz der New York University, während ein großer Teil des nördlichen Manhattan der Columbia University gehört; es heißt, beide Universitäten teilten sich den Real Estate von halb Manhattan. So kommt es, daß in meinem Tower zu verhältnismäßig günstigen Mieten nur Doktoren, Professoren und Angestellte der New York University wohnen oder durchreisende scholars wie ich. Das erinnert mich ein wenig an Moskau, wie ich es in den siebziger Jahren kennengelernt habe, wo – aus ganz anderen Gründen – Künstler, Schriftsteller, Theaterleute und viele Akademiker auch in bestimmten Wohnblöcken zusammen wohnten, auf diese Weise leicht erfaßbar und leicht zu observieren. Lew Kopelew wohnte drei Türen von Jewgenja Ginsburg entfernt, unter ihnen wohnte Rudnizki vom Theaterarchiv und über ihnen der Maler Birger, und die Straße hieß Krasnoarmeiskaja Uliza , also Straße der Roten Armee, der Name fällt mir in New York plötzlich wieder ein. Eigentlich war es sogar praktisch,weil Kopelew, Ginzburg, Birger und die anderen Freunde doch sowieso immer zusammenhockten.
    Merkwürdigerweise ist es nicht das einzige, was mich an Moskau erinnert, denn so westlich, so busy , so kommerzialisiert New York auch sein mag, hat man doch immer den Eindruck eines großen Chaos, dem nur mit einer geradezu archaischen Improvisation begegnet wird. Alles an dieser Stadt wirkt ungenormt, das macht ihren Charme aus, aber eben auch unordentlich, ungefähr und ungesichert, im Alltag scheint vieles, vom Türknauf bis zum Kabel, oft nur wie mit Spucke zusammengehalten, dem Osten, ja dem Balkan durchaus würdig. In der New York Times war gerade von einem Unfall zu lesen, bei dem eine Frau auf der 8th Street plötzlich mit ihrem Hund wie auf dem elektrischen Stuhl durch einen Stromschlag getötet wurde, als sie über ein defektes, mit einer Stahlplatte nur unzureichend abgedecktes Kabel lief. Natürlich wird das Kabelsystem jetzt an der kritischen Stelle, vielleicht sogar auf der ganzen Straße instand gesetzt, und irgendwer wird für den Unfall vor Gericht zitiert und muß vielleicht sogar ins Gefängnis gehen. Aber wenn man sich all die wackligen, manchmal geradezu abenteuerlichen technischen Anlagen in der Stadt, in Straßen, Treppenhäusern und Wohnungen ansieht, wirkt dieser Vorfall geradezu folgerichtig. Wie auf dem Balkan!
    Im Lift bin ich auch Dennis zum ersten Mal begegnet. Are you the German writer? fragte er, als er mich zur Tür von Apartment 7 gehen sah. Er wohnt auf demselben floor, es konnte ihm also nicht entgangen sein, daß hinter dieser Tür immer german writers residieren. Ich sagte, yes, I am, dann schüttelten wir uns die Hände und nannten uns unsere Namen. Nice to meet you. Er ist Informatik-Professor an der New York University, nebenbei betreut er noch einige Schweizer Banken bei ihren EDV-Problemen, und ich habe ihn gleich gefragt, ob ich ihn auch einmal für eine Notfallbehandlung meines Laptops, einer ganz alten Krücke, die ich mir für den Aufenthalt in New York ausgeborgt habe, rufen könnte. Erst sprechen wir englisch, dann wechseln wir zu Deutsch, Deutsch hat er nämlich nur so aus Spaß gelernt, eigentlich wollte er Arabisch lernen, erzählt er und lacht. Nachdem ich ihm erklärt habe, daß ich zwar ein German writer bin, aber in France lebe, wechseln wir zu Französisch. Und dann geben wir uns auch gleich in unserer gemeinsamen jewishness zu erkennen. Aus irgendwelchen Gründen möchten Juden immer gerne wissen, ob sie mit einem Mitjuden oder einem Goi sprechen, und nicht im unklaren darüber bleiben, ob ihr Gegenüber nun jüdisch oder wenigstens irgendwie jüdisch oder eben ein Goi ist. Dann weiß man, worauf man sich einzustellen hat. Vielleicht ist es das Echo jahrhundertealter Anspannung und Angst, die sofort nachlassen, wenn der andere ein, und sei es noch so
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