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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Autoren: Barbara Honigmann
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duldet nämlich keine mittleren Gefühle und stößt jeden aus seinem Kreis, der es nicht als Zentrum der Welt und Quelle aller Schöpfung anbetet.
    Aber hier bin ich ja nur Mitläuferin zu einer der zahlreichen Adressen und Geheimadressen der Musikszene des East Village, von denen sich einige hinter unauffälligen Türen ehemaliger Depots verbergen, wo du ganz genau wissen mußt, wo zu klingeln ist, und wenn du das weißt, bist du ein Insider. Ich fühle mich ausgesprochen privileged , daß ich Sanda hinter die richtigen Türen folgen darf, sie stellt mich dann ihren Kollegen vor: My oldest friend from East Berlin , und die finden das meistens amazing. Sie sind nämlich alle echte New Yorker, meistens jüdisch.
    An einem Abend gibt Sanda selbst ein Konzert in Joe’s Pub . Diese Adresse ist nicht »off«, sie gehört zum Public Theater nebenan, noch auf der Lafayette Street, aber schon so gut wie am Astor Place. Joe’s Pub ist eine Art Cafébar, mit einer winzigen Bühne; so ähnlich stelle ich mir die Bar vor, in der Yvette Gilbert in Paris seinerzeit gesungen hat. Ich setze mich an einen Tisch ganz vorn und nehme wie alle einen Drink, in Wirklichkeit ist es aber nur Orangensaft. Der Raum liegt im Halbdunkel, bei Yvette Gilbert in Paris war er sicher verraucht, in New York aber ist absolutes Rauchverbot staatlich verordnet, hier ist es also völlig clean .
    Sanda tritt mit vier Musikern auf, ist ganz in Schwarz gekleidet und singt mit einer Riesenstimme, obwohl sie doch so klein ist. Der Saal ist begeistert, alle klatschen wie verrückt, Sanda haucht thank you, thank you! ins Mikrofon, und ich bin schrecklich stolz auf meine Freundin und gucke mich Beifall erheischend um, als ob ich irgendeinen Anteil an ihrem Erfolg hätte.
    Am nächsten Tag schleppt sie mich dann zu einem Konzert hinter einer der unauffälligen Türen im East Village, bei dem einer ihrer Kollegen die gängigen Versionen von Stücken eines sehr berühmten Jazz-Musikers, ich glaube, aus den 20er Jahren, mit den handschriftlichen Fassungen der Partituren vergleicht, die er in der Public Library gefunden hat. Leider habe ich den Namen des berühmtenMusikers noch nie gehört und kann auch die Unterschiede nicht so richtig würdigen, aber die anderen, die Insider, stellen noch viele Fragen und sagen, wie sie darüber denken, und ich nehme mir wieder einmal vor, daß ich viel mehr von Musik verstehen sollte.
    Wenn Sanda keine Proben oder Konzerte hat, besuche ich sie abends in dem kleinen Häuschen in ihrer mews. Direkt hinter der Haustür muß man eine ganz steile Treppe hochklettern, um in ihre Gemächer zu gelangen, es ist aber nur ein Gemach und ein halbes. An diesen Abenden haben wir eine Menge Vergangenheit zu bewältigen, die Ereignisse der zurückliegenden Jahre zu besprechen, eine Epoche zu begraben, Freunde zu betrauern, Stasispitzel zu enttarnen, uns zu wundern, zu empören, zu entsetzen und natürlich Namen abzufragen, was aus dem und dem geworden ist, das wirst du nicht glauben, wo ich ihn getroffen und was ich gehört habe, was er so tut, wen er verlassen und mit wem er jetzt. Manches, was die eine noch weiß, hat die andere beim besten Willen schon längst vergessen. Viele Episoden und Wendungen unserer Leben müssen wir uns noch in den Einzelheiten erzählen, für die wir während unserer immer nur kurzen Begegnungen in den letzten 25 Jahren die Zeit nicht gefunden haben. Da, wo wir jetzt leben, kennt keiner unsere alten Freunde, und wir können mit niemandem unsere Erinnerungen an die bedrückende Zeit teilen, die wir nun versuchen wie einbeengendes, uns entstellendes Kleidungstück abzuschütteln.
    Wir kommen an diesen Abenden manchmal sogar auf die Vorvergangenheiten zu sprechen, rufen uns den Ursprung unserer Freundschaft ins Gedächtnis, wie sie als Zwölfjährige aus Rumänien nach Berlin kam und unsere Eltern wünschten, daß wir uns miteinander anfreunden sollten – eine Aufforderung, der wir dann gründlich folgten, dabei mußte Sanda erst noch Deutsch lernen. Wir sprechen auch von unseren Eltern und ihren Schicksalen vor unserer Geburt, manches, aus ihrer rumänischer Zeit, höre ich überhaupt zum ersten Mal, und wir brauchen also viel Zeit um in der Gegenwart anzukommen. Deshalb sind wir dem lieben Deutschen Literaturfonds ja so dankbar, daß er uns zehn Wochen geschenkt hat.
    Natürlich nimmt mich Sanda auch zum Yoga mit. Alle in New York machen jetzt Yoga und essen Organic Food. In einem Loft im 14. Stockwerk Broadway,
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