Das Turmzimmer
warten können. Und damit hat sie mehr als recht. Wir hätten tatsächlich das ganze Jahr warten müssen, in dem ich oben im Selbstmordzimmer lag, die Tapete anstarrte und mich mit den Tatsachen zu arrangieren versuchte, dass mein Vater ein Wahnsinniger und meine Mutter eine verbitterte Autorin gewesen war und ich nur wenige Stunden zu spät gekommen war, um sie noch lebend kennenzulernen. Rückblickend muss ich durchaus zugeben, dass es für das Buch nicht von Vorteil gewesen wäre, wenn man es auch nur eine Minute später veröffentlicht hätte. Jedenfalls nicht, was den Verkauf angeht.
Sie wissen es bestimmt schon, doch Das Turmzimmer ist ein noch größerer Erfolg geworden als Lady Nellas geschlossene Augen . Innerhalb von vierzehn Tagen wurden von meinem Buch ( meinem Buch !) 25000 Exemplare verkauft, und ein Jahr später konnte Nella bereits die achte Auflage herausbringen. Ihr folgten Übersetzungen und farbenprächtige Taschenbuchausgaben, denen von Antonias Büchern nicht unähnlich. Darüber hinaus hat übrigens auch Antonias Gesamtwerk die Renaissance erlebt, von der wir geträumt hatten. Das Problem war nur, dass die Freude nicht lange währte, denn nach Kriegsende ging es mit Antonias Gesamtwerk und dem Turmzimmer steil bergab. Im Moment verkauft sich von meinem Buch angeblich nicht ein Exemplar mehr. Nella behauptet, dass sie das vorausgesehen habe. Antonia von Liljenholms Sympathien für die Nazis waren dank der berüchtigten, an die Öffentlichkeit geratenen Korrespondenz mit Wallis, Duchess of Windsor, ja hinlänglich bekannt, sodass ich Nella eigentlich dankbar sein müsste, mein Buch rechtzeitig herausgebracht zu haben, bevor das Dritte Reich kollabierte.
Das ist auch alles in Ordnung so. Nur bedeutet Geld für mich nun einmal nicht das Gleiche wie für meine wahnsinnigen Verwandten. Ich kann mir weder vorstellen zu töten oder Leute einzusperren oder die Nachkommen, die ich nicht habe, zu verlassen, nur um an Geld zu kommen. Als ich endlich aus meiner Depression aufgewacht bin und eingesehen habe, dass ich längst zu Antonias Nachfolgerin auserkoren worden war und genug Geld für mehr als ein Leben einkassiert hatte, wanderten all meine Gedanken zu Lily. Wie furchtbar muss es für sie gewesen sein, als ihr Buch damals mit gewissen Änderungen veröffentlicht wurde. Ich dachte, dass sie genau die gleiche Ohnmacht empfunden haben musste, die mir so zu schaffen gemacht hat, und trotzdem hatte sie Lust weiterzuschreiben. Meine Mutter! Und das hat mich schließlich inspiriert, es ihr gleichzutun. Aber unter meinem bürgerlichen Namen, Agnes Kruse, wie Sie wohl wissen. Denn der Name von Liljenholm ist immer noch so eine Art Hemmnis für mich, das muss ich zugeben.
Ich habe übrigens in jedem verdammten Interview anlässlich meiner Erzählungen Das Irrenhaus , Das Mädchen mit dem goldenen Löffel und Die tödliche Verspätung klargestellt, dass meine Mutter und ich zwei völlig verschiedene Menschen sind, und trotzdem werde ich laufend nach meinen Sympathien für die Nazis gefragt. Glücklicherweise ist das Interesse für diesen nicht existenten Teil meiner Vergangenheit jedoch rückläufig. Vor allem, nachdem eine meiner relativ neuen Bekannten, die liebe Baronesse Karen Blixen, sich auf der ersten Seite von Die tödliche Verspätung großzügigerweise hat zitieren lassen: »Agnes Kruse ist ein besonderer Mensch und eine geborene Geschichtenerzählerin. Ich kann sie nur wärmstens empfehlen«, schreibt sie. Vor diesem Hintergrund hat Nella mich auch gebeten, das vorliegende Nachwort zu schreiben.
Sie kam neulich mit der kleinen Bella an der Hand in mein Arbeitszimmer hier auf Liljenholm. Bella war gewachsen, fiel mir auf. Über den Sommer waren ihre Haare heller geworden, und ihre Augen blickten noch neugieriger als sonst. Vielleicht war Nella auch wieder schwanger, denn sie strich sich mit der Hand über ihren Bauch, während wir redeten.
»Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte sie und sah sich um. Ich glaube, sie hat sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass ich die Wände in der tiefblauen Farbe habe streichen lassen, die Simon und ich beide so geliebt haben. Doch dafür hat sie mich mehrmals dazu beglückwünscht, die braungrünen Gardinen ausgewechselt zu haben. Weiße Gardinen frischen das Ganze deutlich auf.
»Um was willst du mich bitten?«
Ich saß mitten in einem schwierigen Kapitel des Romans, an dem ich gerade schreibe, deshalb begnügte ich mich damit, den Blick etwas zu heben,
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