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Das Treffen

Das Treffen

Titel: Das Treffen
Autoren: Richard Laymon
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Finley momentan auch nicht zu sehen. Sie saß auf dem Dach des Wagens und hatte ihre Waden gegen die Windschutzscheibe gepresst.
    »Auf geht's, Mädels!«, rief sie von oben herunter.
    »Gib Vollgas«, flüsterte Cora.
    »Sie könnte herunterfallen und sich den Hals brechen«, sagte Helen.
    »Oder noch schlimmer, ihre Kamera würde kaputtgehen«, sagte Vivian. »Dann würde sie völlig ausflippen.«
    Helen fuhr los. Langsam.
    »Mach mal die Scheibenwischanlage an.«
    »Das wäre gemein«, sagte Vivian.
    Cora wandte sich um. »Abby, du bist genial.«
    »Nö. Nur gemein.«
    Helen beugte sich leicht nach vorn und schaltete die Scheibenwischanlage an. Dünne Wasserstrahlen schossen hervor. Die Wischerblätter stießen gegen Finleys Waden, und das Wasser durchnässte ihre Strümpfe. »Ihr Schweine«, rief sie.
    Helen schaltete die Scheibenwischer wieder ab. »Verzeihung«, rief sie aus dem Fenster. »War ein Versehen.«
    »Leck mich. Dafür werdet ihr bezahlen. Niemand legt sich ungestraft mit mir an.«
    »Wir zittern schon vor Angst«, rief Abilene.
    »Das war deine Idee, oder?«
    »Wessen?«
    »Deine! Das weiß ich genau, Hickok. Dafür stirbst du.«
    »Ach, spuck nicht so große Töne. Kümmere dich lieber um deinen Film.«
    Finleys Beine kehrten in ihre vorherige Position zurück. Dann erschien ihr Kopf zwischen den Knien. Der Fahrtwind umspielte ihr kurzes Haar. Sie bewegte ihre Lippen, als würde sie eine Reihe von Flüchen vom Stapel lassen, aber im Wagen war nichts davon zu hören.
    »Verpass ihr noch eine Ladung.«
    Das hatte sie anscheinend gehört. Schnell zog sie den Kopf weg.
    »Jetzt beruhigt euch mal wieder«, rief sie.
    Helen nahm den Finger vom Hebel.
    Sie fuhren schnurstracks weiter nach Norden. Helen überquerte nicht einmal die Mittellinie, um Schlaglöchern oder Rissen im Asphalt auszuweichen. Es war eine ziemlich holprige Fahrt. Trotzdem war Abilene froh, dass Helen so umsichtig war. Denn auch wenn die verwahrloste Straße ziemlich verlassen wirkte, konnte doch jeden Moment ein Fahrzeug um eine Kurve biegen und sie rammen, sollten sie sich auf der falschen Spur befinden. So war das Leben: Immer, wenn man es am wenigsten erwartete – Bumm.
    Andererseits konnte sich auch ein entgegenkommendes Auto auf ihre Spur verirren, fiel ihr ein.
    Sie wünschte, Finley würde nicht auf dem Dach sitzen.
    Helen hielt an. »Hier müsste es sein«, sagte sie und deutete auf einen kleinen Feldweg, der den Hügel zu ihrer Rechten hinaufführte.
    »Wie, du weißt es nicht genau?«
    »Glaubst du etwa, ich war hier schon mal? Ich habe nur von dem Ort gelesen. Aber das hier sollte die Totem Pole Lodge sein.«
    »Ja, sieht danach aus«, sagte Cora. Zu beiden Seiten des Weges standen Totempfähle. Die alten Holzsäulen waren mit Schnitzereien von wilden Tieren, Dämonen und anderen Ungeheuern bedeckt und endeten in großen Vögeln mit gespreizten Flügeln. Einer der Pfähle hatte sich gefährlich zur Seite geneigt und drohte, auf vorbeifahrende Autos zu fallen.
    Abilene nahm an, dass die Totempfähle einmal mit leuchtenden Farben bedeckt gewesen waren. Jetzt hatten sie eher die Farbe von Treibholz angenommen. Oder von schmutzig grauen Knochen.
    Irgendwelche Vandalen hatten ihre Namen, Datumsangaben, Herzen und sogar ein paar Hakenkreuze in die Stämme geritzt. Sie waren nicht davor zurückgeschreckt, hinaufzuklettern, um einen Platz für ihr Gekritzel zu finden. Am oberen Ende des schrägen Pfahls hatte jemand ein Jagdmesser in das ausgebleichte Holz eines Vogelflügels getrieben.
    Auf dem anderen Pfahl war auf Augenhöhe ein rostiges, verbogenes Metallschild angebracht: BETRETEN VERBOTEN.
    »Warum sollte jemand, der Ferienhäuser vermietet, so ein Schild aufhängen?«, fragte Vivian.
    »Die Anlage ist schon lange geschlossen«, sagte Helen und lenkte den Wagen auf den kleinen Pfad. Der schräge Pfahl fiel zum Glück nicht um. Aber als sie den Hügel hinauffuhren, verschwanden plötzlich Finleys Beine von der Windschutzscheibe und Abilene hörte ein Poltern auf dem Autodach. Wahrscheinlich war Finley hintenübergefallen. Nur wenige Augenblicke später erschienen die Beine wieder.
    »Hoffentlich hat sie die Kamera laufen lassen«, sagte Abilene. »Das gibt bestimmt ein paar interessante Bilder.«
    »Sich drehende Baumwipfel«, meinte Cora.
    »Die Äste hängen ziemlich tief«, sagte Helen besorgt.
    »Dürfen wir umkehren, sobald es eine von uns erwischt hat?«
    »Du solltest dich freuen«, sagte Cora. »Zumindest werden wir
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