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Das Todeskreuz

Titel: Das Todeskreuz
Autoren: Andreas Franz
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alle nennen mich nur Les«, antwortete sie
kaum hörbar.
    »Das ist ein schöner Name, vor allem ungewöhnlich.«
    »Mein Vater ist Amerikaner, aber ich kenne ihn gar nicht. Meine
Mutter war neunzehn, als ich geboren wurde, und er war ein
Soldat, mehr weiß ich nicht.«
    »Verstehe. Ich weiß, es ist schrecklich, einen Angehörigen auf
eine solche Weise zu verlieren, aber Sie würden mir sehr helfen,
wenn Sie ...«
    »Ich bin so gegen sechs hergekommen«, sagte Leslie leise,
»doch das hab ich schon Ihrem Kollegen erzählt.«
    »Herrn Fritsche oder Herrn Hellmer?«
    »Fritsche.«
    »Und weiter?«
    »Ich habe seit gestern versucht meine Mutter zu erreichen,
aber sie hat nicht abgenommen. Das war völlig ungewöhnlich für
sie, denn wir haben jeden Tag miteinander telefoniert, auch wenn
die Gespräche meist nur ein paar Minuten dauerten und alles andere
als tiefschürfend waren. Das Telefon war außer dem Internet
ihre einzige Verbindung zur Außenwelt.«
    Julia Durant stutzte, zog die Stirn in Falten und fragte: »Was
meinen Sie damit? Wieso waren das Telefon und das Internet die
einzige Verbindung zur Außenwelt? Hat Ihre Mutter das Haus
nicht verlassen?«
    Leslie schüttelte den Kopf und lächelte zum ersten Mal an diesem
Abend, ein Lächeln, das so schnell wieder verschwand, wie
es aufgetaucht war. Sie nahm das Glas, trank einen Schluck und
sah Durant mit leerem Blick an.
    Nein, sie hat seit etwa zehn Jahren nur hier im Haus gelebt.
Agoraphobie, falls Ihnen das etwas sagt.«
    »Sicher, Angst vor großen Plätzen oder überhaupt sich im
Freien aufzuhalten.«
    »Nicht nur das, auch Menschenansammlungen machten ihr
Angst. Das hatte aber eine Ursache. Sie wurde mehrfach massiv
bedroht, einmal sogar in einer Tiefgarage überfallen und bis zur
Bewusstlosigkeit gewürgt, da war ich erst fünfzehn. Seitdem hatte
sie allein bei dem Gedanken Panik, auf die Straße gehen zu
müssen. Sie kennen vielleicht den Film Copykill mit dieser etwas
durchgeknallten Psychologin, die auch nie ihre Wohnung verlassen
hat. So ähnlich war es bei meiner Mutter. Sie hat sich vollständig
von der Außenwelt abgekapselt.«
    »Und wovon hat Ihre Mutter gelebt? Ich meine, wenn ich
mich hier umschaue, das alles war bestimmt nicht billig.«
    »Sie hat gearbeitet, aber nur von zu Hause aus. Sie war Rechtsanwältin
und hat Fälle bearbeitet, bei denen sie nicht mit Mandanten
sprechen musste, das haben andere in der Kanzlei für sie
übernommen.«
    »Für welche Kanzlei war sie tätig?«
    »Frantzen und Partner. Sie war einer der Partner. Sie hat sehr
gut verdient, was wohl leicht untertrieben ist. Sie hat Geld wie
Heu.«
    »Und diese Agoraphobie, hatte diese Krankheit etwas mit
einem früheren Fall zu tun?«
    »Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, denn das mit
ihrer Krankheit kam sehr plötzlich. Ich weiß nur, dass sie damals
noch als Staatsanwältin in Darmstadt gearbeitet hat, und da hat
wohl jemandem etwas nicht gefallen, so viel habe ich mitbekommen.
Sie hat mir aber nie etwas Konkretes erzählt, aus welchen
Gründen auch immer. Alle Informationen habe ich von meinen
Großeltern, doch die haben sich auch sehr bedeckt gehalten.
Vielleicht dachten sie, ich würde die Wahrheit nicht verkraften.
Sie sagen nur, dass es mit einem unseligen Prozess zu tun hat, bei
dem sie die Anklage vertreten hat. Ja, sie haben das Wort unselig
benutzt. Und nicht lange danach wurde sie überfallen, aber das
habe ich ja schon erzählt. Kennen Sie meine Mutter vielleicht?«
»Ich hatte nie mit ihr zu tun, aber ich hatte vorhin schon das
Gefühl, dass mir der Name von irgendwoher bekannt vorkommt.
Jetzt kann ich ihn natürlich etwas besser zuordnen, auch wenn
ich mir noch weitere Informationen besorgen muss. Und nach
diesem Prozess fingen die Drohungen an?«
    »Wie gesagt, meine Mutter hat nie darüber gesprochen. Wir
haben uns überhaupt fast nie über ihren Beruf unterhalten.«
    »Und was war in den letzten Jahren? Gab es da immer noch
Drohungen?«
    Leslie schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Sie ist ja
auch bald nach ihrem Klinikaufenthalt hierher gezogen.«
    »In dieses Haus?«
    »Hm.«
    »Das heißt, sie hat das Haus gekauft oder gebaut?«
    Gekauft und so umbauen lassen, dass sie bis an ihr Lebensende
...« Leslie stockte, Tränen stahlen sich aus ihren Augen, die
sie mit dem Handrücken wegwischte. »Entschuldigung, aber ich
werde das wohl nie begreifen. Wie kann jemand so etwas tun?
Sie
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