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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans
Autoren: Barbara Goldstein
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bemächtigen sich des heiligen Berges …
    Er blinzelt in die Finsternis, kann jedoch wegen des dichten Nebels das Meer unter sich nicht erkennen. Ist Ebbe oder Flut? Furcht steigt in ihm auf. So schnell wie möglich muss er den Mont verlassen und nach Rom zurückkehren. Nur der Papst kann ihn noch retten.
    Vittorino tastet nach dem ledergebundenen Notizbuch mit seiner Abschrift aus dem satanischen Kodex. Er schlägt das Büchlein auf und betrachtet die verschlüsselten Seiten, die außer Alessandra niemand entziffern kann. Eigentlich hätte sie an seiner Stelle hier sein sollen. Vor zweieinhalb Jahren, wenige Tage nach seiner Wahl zum Pontifex, wollte Papst Nikolaus seine Vertraute zum Mont-Saint-Michel schicken. Doch nach der heimtückischen Verschwörung der dominikanischen Inquisitoren, die Alessandra auf den Scheiterhaufen gebracht hatten, hat sie Rom für immer verlassen. Sie lebt jetzt mit ihrem Gemahl am Hof des Sultans von Granada.
    Vittorino starrt die klammen Pergamentseiten an, die einen herben Duft nach Zitrone und Leder verströmen. Andere mussten sterben, weil sie dasselbe getan hatten wie er. Sie waren hingerichtet worden, ihre Seelen für alle Zeit in die Hölle verbannt. So schnell wie möglich muss er die Insel verlassen und das rettende Festland erreichen, die bretonische oder die normannische Küste, gleichgültig, nur fort von diesem schrecklichen Ort. In wenigen Stunden könnte er in Sicherheit sein.
    Ein Knarzen lässt ihn erschrocken herumfahren.
    Das Portal der Kirche!
    Schlurfende Schritte. Unter dem hölzernen Gewölbe des Kreuzgangs sind sie ganz deutlich zu hören.
    Ein Schatten huscht durch den Nebel zwischen den Säulen und wirbelt die ihn umwabernden Schwaden auf. Es ist der bretonische Pater. Er hat die schwarze Kapuze seiner Kukulle tief ins maskierte Gesicht gezogen. Seine Finger umklammern einen Dolch.
    Vittorino fühlt sich, als ob der Boden sich bebend unter ihm auftut und er in die Hölle hinabstürzt. Der dichte Nebel ist beklemmend, erstickend.
    Mein Gott, hilf mir! Die Fratres sind verrückt geworden!
    Voller Entsetzen blickt er sich im Kreuzgang um. Er ist unbewaffnet, wie es die Ordensregel für die Michelots, die Pilger des Mont-Saint-Michel, vorschreibt. Er muss so schnell wie möglich verschwinden. Doch wohin?
    Der Kreuzgang ist viel zu unübersichtlich. Hier kann er sich nicht verstecken.
    Im Osten des Gevierts liegt das Refektorium, dessen Front mit den großen Fenstern und den beiden hohen Kaminen in dieser grauenvollen Nacht einer riesenhaften Teufelsfratze gleicht. Das Tor ist nachts verschlossen, um die Mönche nicht in Versuchung zu führen, heimlich aus der Küche bretonische Wurst und normannischen Käse zu holen.
    Im Süden erstreckt sich hinter einem Durchgang ein Hof mit dem Portal zum Seitenschiff der Kirche. Und, ein paar Schritte weiter, die Tür zum Dormitorium, wo die vierundzwanzig Mönche der Abtei in ihren hölzernen Zellen schlafen.
    Gebannt starrt Vittorino den Maskierten an, der immer näher kommt.
    Das ist das Ende!, schießt es ihm durch den Kopf. Er wird mich töten!
    Vittorino wirft sich herum und hastet an der Doppelreihe der Säulen entlang zu den nördlichen Arkaden. Plötzlich gleitet er aus auf den nebelfeuchten Steinfliesen. Beinahe wäre er gestürzt. Weg hier, nur weg!
    In der Nordwestecke hastet er an der Tür zum geheimen Archiv vorbei, das sich über zwei Stockwerke erstreckt und bis hinunter zum Scriptorium unterhalb des Kreuzgangs reicht. In diesen Räumen hat er, der Leiter des vatikanischen Geheimarchivs, der vertraut ist mit den Protokollen von Konzilssitzungen, den Akten von Inquisitionsprozessen, der Privatkorrespondenz von Päpsten und den verbotenen apokryphen Evangelien, seine schreckliche Entdeckung gemacht.
    Der Mönch folgt ihm mit flatternder Kukulle. »Ihr könnt mir nicht entkommen, Monseigneur! Das Geheimnis muss bewahrt bleiben!«
    Wenn ich sterbe, ist die Wahrheit für immer verloren!, denkt Vittorino entsetzt und flüchtet, sein Notizbuch umklammernd, durch den Kreuzgang. Dort vorne, zwischen den Säulen, nur wenige Schritte entfernt, ist ein Durchgang zum Heckenlabyrinth des kleinen Gartens.
    Hoffnung keimt in ihm auf. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Die hohen, ineinander verschlungenen Hecken sind ein Ort stiller Meditation zwischen Himmel und Erde, inmitten des Schweigens der Mönche, des Heulens des Windes und des Tosens des Meeres. Die beschnittenen Sträucher bilden ein unübersichtliches Labyrinth,
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