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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik
Autoren: Fritjof Capra
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Behauptung
aufstellte: »Alle Dinge sind Zahlen«, und der eine sehr spezielle Art von mathematischer Mystik entwickelte. So führte
die pythagoreische Philosophie die logische Beweisführung in
die Domäne der Religion ein, eine Entwicklung, welche nach
Bertrand Russell für die westliche Religionsphilosophie entscheidend war:
    Die Kombination von Mathematik und Theologie, die mit Pythagoras begann, charakterisiert die Religionsphilosophie in Griechenland, im Mittelalter und in der Neuzeit bis herauf zu Kant. . . Bei
Plato, Augustinus, Thomas von Aquin, Descartes, Spinoza und
Leibniz gibt es eine innige Vermischung von Religion und Vernunft,
von moralischem Streben und verstandesmäßiger Bewunderung
des Zeitlosen, die sich von Pythagoras herleitet und die intellektualisierte
Theologie Europas von den
gradlinigeren
mystischen
Systemen Asiens unterscheidet. 7
    Die »gradlinigeren mystischen Systeme Asiens« würden natürlich die pythagoreische Auffassung der Mathematik nicht akzeptieren. Nach östlicher Ansicht muß die Mathematik mit ihrer hochdifferenzierten und wohldefinierten Struktur als Teil
unserer begrifflichen Landkarte und nicht als Merkmal der
Wirklichkeit selbst gesehen werden. Wirklichkeit, wie der
Mystiker sie erfährt, ist
völlig unbestimmt und
undifferenziert.
    Die wissenschaftliche Methode der Abstraktion ist sehr wirkungsvoll, doch müssen wir dafür einen Preis zahlen. Während
wir unser
Begriffssystem
immer genauer definieren, glätten
und immer fester in sich binden, löst es sich zunehmend von der
realen Welt. Wenn wir wieder Korzybskis Analogie von der
Landkarte und dem Land heranziehen, ließe sich sagen, daß die
gewöhnliche Sprache eine Landkarte ist, die aufgrund ihrer inhärenten Ungenauigkeit eine gewisse Flexibilität aufweist und
damit den gekrümmten Formen des Terrains bis zu einem gewissen Grad folgen kann. Wird sie rigoroser, verschwindet
diese Flexibilität allmählich, und mit der Sprache der Mathematik haben wir einen Punkt erreicht, wo die Verbindung mit
der Wirklichkeit so dünn geworden ist, daß der Bezug zwischen
den Symbolen und unseren Sinneserfahrungen nicht mehr offenbar ist. Daher müssen wir unsere mathematischen Modelle
und Theorien mit Erläuterungen durch Worte ergänzen, wieder unter Verwendung von Begriffen, die intuitiv verstanden
werden können, die aber etwas vieldeutig und ungenau sind.
    Es ist wichtig, sich den Unterschied zwischen den mathematischen Modellen und deren in Worten ausgedrückten Gegenstücken klarzumachen. Erstere sind in ihrer inneren Struktur
starr und folgerichtig, aber ihre Symbole stehen in keinem direkten Zusammenhang mit unserer Erfahrungswelt. Das in
Worten ausgedrückte Modell andererseits gebraucht Begriffe,
die intuitiv verstanden werden können, die aber immer ungenau und vieldeutig sind. In dieser Hinsicht unterscheiden sie
sich nicht von philosophischen Modellen der Wirklichkeit, und
somit können die beiden sehr gut miteinander verglichen werden.
    Wie es in der Wissenschaft ein intuitives Element gibt, so gibt
es auch ein rationales Element in der östlichen Mystik. Der
Grad jedoch, bis zu welchem Vernunft und Logik betont werden, schwankt enorm von einer Schule zur anderen. Zum Beispiel sind der hinduistische Vedanta und die buddhistische
Madhyamika-Lehre hochintellektuelle Schulen, während die
Taoisten Vernunft und Logik immer sehr mißtrauten. Der Zen,
der aus dem Buddhismus stammt, aber stark vom Taoismus beeinflußt wurde, ist stolz darauf, »keine Worte, keine Erklärungen, keine Lehren, kein Wissen« zu haben. Er konzentriert sich
fast völlig auf die Erfahrung der Erleuchtung und ist nur am
Rande an der Erklärung dieser Erleuchtung interessiert. Ein
bekannter Satz des Zen besagt: »Im Augenblick, da du über ein
Ding sprichst, verfehlst du das Ziel.«
    Obwohl andere Schulen östlicher Mystik weniger extrem
sind, ist ihr Kern doch die direkte mystische Erfahrung. Selbst
die Mystiker, die sich in subtilsten Beweisführungen ergehen,
sehen nie den Intellekt als Quelle ihres Wissens, sondern ge
    brauchen ihn lediglich, um ihre persönlichen mystischen Erfahrungen zu analysieren und zu interpretieren. Alles Wissen basiert auf dieser Erfahrung und gibt somit den östlichen Traditionen einen stark
empirischen Charakter, der von deren
Befürwortern immer betont wurde. D. T. Suzuki zum Beispiel
schreibt über den Buddhismus:
    Persönliche Erfahrung ist... die Grundlage der buddhistischen
Philosophie. In diesem Sinne ist der
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