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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik
Autoren: Fritjof Capra
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breitangelegten Trends, der ein Gegengewicht gegen das tiefgreifende
Ungleichgewicht in unserer Kultur zu schaffen versucht - in unserem Denken und Fühlen, unseren Wertvorstellungen und
Verhaltensweisen, unseren gesellschaftlichen und kulturellen
Strukturen. Für mich läßt sich dieses Ungleichgewicht besonders treffend mit der chinesischen Terminologie von Yin und
Yang beschreiben. Unsere Kultur hat ständig die Yang- oder
maskulinen Werte bevorzugt und die ihnen komplementären
Yin- oder femininen Werte vernachlässigt. Wir haben die
Selbstbehauptung der Integration vorgezogen, haben der Analyse gegenüber der Synthese den Vorrang gegeben, verstandesmäßiges über intuitives Wissen gesetzt, Wissenschaft über
Religion, Wettbewerb über Zusammenarbeit, ständiges Ausdehnen über Bewahren und so fort. Diese einseitige Entwicklung hat jetzt ein alarmierendes Stadium erreicht. Wir stecken
tief in einer Krise von gesellschaftlichen, ökologischen, moralischen und geistigen Dimensionen.
    Gleichzeitig erleben wir jedoch den Beginn einer großartigen
evolutionären Bewegung, die die alte chinesische Redewendung zu illustrieren scheint: »Hat das Yang seinen Gipfel erreicht, zieht es sich zugunsten des Yin zurück.« In den sechziger
und siebziger Jahren entstanden verschiedene gesellschaftliche
Bewegungen, die alle in die gleiche Richtung zu zielen scheinen. Die zunehmende Beschäftigung mit ökologischen Problemen, das starke Interesse für Mystik, das wachsende Selbstbewußtsein der Frauen und die Wiederentdeckung ganzheitlieher Methoden in der medizinischen Wissenschaft und in der
Heilkunst ganz allgemein - alles das sind Manifestationen desselben evolutionären Trends. Sie wirken der Überbetonung
verstandesmäßiger und maskuliner Einstellungen und Werte
entgegen und versuchen, das Gleichgewicht zwischen den maskulinen und den femininen Aspekten der menschlichen Natur
wiederzugewinnen. Demgemäßt erscheint heute das Erkennen
des profunden Einklangs der Weltsicht der modernen Physik
und der Anschauungen östlicher Mystiker als integraler Teil einer umfassenderen kulturellen Transformation, in deren Verlauf eine neue Sicht der Wirklichkeit entsteht, die fundamentale Veränderungen unseres Denkens, unserer Wahrnehmung
und unserer Wertvorstellungen erfordern wird. In meinem
zweiten Buch, Wendezeit, habe ich die verschiedenen Aspekte
und Implikationen dieser kulturellen Transformation dargestellt.
    Die Feststellung, daß die gegenwärtigen Wandlungen unseres Wertsystems viele Wissenschaftszweige beeinflussen werden, mag jene überraschen, die an eine objektive, wertfreie
Wissenschaft glauben; sie ist jedoch eine der wichtigen Implikationen der Neuen Physik. Heisenbergs Beiträge zur Quantentheorie, die ich in diesem Buch ausführlich diskutiere, führen eindeutig zu der Erkenntnis, daß das klassische Ideal wissenschaftlicher Objektivität nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die moderne Physik stellt damit auch den Mythos einer wertfreien Naturwissenschaft in Frage. Die von den Naturwissenschaftlern in der Natur beobachteten Strukturen hängen
aufs engste mit den Strukturen ihres Geistes zusammen - mit
ihren Begriffen, Gedanken und Wertvorstellungen. Daher
werden ihre wissenschaftlichen Ergebnisse und deren technische Anwendungen durch ihre eigene Geisteshaltung konditioniert. Wenn auch viele ihrer Forschungsaktivitäten im einzelnen nicht unbedingt von ihren Wertvorstellungen abhängig
sein müssen, kann der umfassende Rahmen der Forschung
niemals wertfrei sein. Wissenschaftler sind daher nicht nur intellektuell, sondern auch moralisch für ihre Forschung verantwortlich.
    Aus dieser Sicht ist der Zusammenhang zwischen Physik und
Mystik nicht nur interessant, sondern auch außerordentlich bedeutsam. Er zeigt auf, daß die Ergebnisse der modernen Physik
den Naturwissenschaftlern die Möglichkeit eröffnet
haben,
zwei sehr unterschiedliche Wege einzuschlagen. Diese können,
um es einmal ganz extrem auszudrücken, entweder zu Buddha
oder zur Bombe führen, wobei es jedem Wissenschaftler freisteht, welchen Weg er gehen will. In einer Zeit, in der fast die
Hälfte unserer Naturwissenschaftler und Techniker für die Rüstung arbeitet - wobei ein enormes Potential an menschlichem
Einfallsreichtum und Kreativität vergeudet wird, um immer
raffiniertere Mittel zur totalen Vernichtung zu entwickeln -,
kann meines Erachtens der Weg des Buddha, der »Weg mit
Herz«, gar nicht genug betont werden.
    Die Neuausgabe des Buches
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