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Das Tal der Hundertjährigen

Titel: Das Tal der Hundertjährigen
Autoren: Ricardo Coler
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Rückschlag für militante
     Verfechter gesunder Lebensführung bedeuten. Der Konsum an Fett in Abchasien, an Salz und Tabak in Vilcabamba und die übermäßige
     Aprikosenbegeisterung der Hunzukuc lassen sich nur schwer mit unserer Vorstellung einer ausgewogenen Ernährung in Einklang
     bringen.
    Allein über die Nahrung lässt sich die Lebenszeit eines Menschen nicht endlos dehnen; sie kann dazu beitragen, dass man das
     Grenzalter erreicht, aber die Grenze selbst vermag sie nicht zu verschieben.
    Immer wieder ist die Rede von der besonderen Qualität des Wassers in Hunza und Vilcabamba, so erreicht es beispielsweise später
     als das Wasser andernorts den Siedepunkt. Der Nobelpreisträger Henri Coanda, Meister der Flüssigkeitsdynamik, reiste in den
     dreißiger Jahren mit seinem Schüler Patrick Flanagan in das Tal der Hunza, da er dort den Jungbrunnen vermutete. Seine Untersuchungen |25| ergaben, dass das Wasser der Hunza eine besondere Molekularstruktur hat, über die gewöhnliches Leitungswasser nicht verfügt.
     Doch weiter kam er dem Geheimnis des überdurchschnittlich hohen Alters der Bewohner des Tals nicht auf die Spur.
    Auch die sogenannten Antioxidantien werden häufig als Grund für Langlebigkeit angeführt. Ob diese Stoffe allerdings tatsächlich
     die Zellen und Zellmembranen schützen, ist noch nicht belegt. Die Forschung zu diesem Thema steht noch am Anfang; die Pharmaindustrie
     vertraut indes blind dem wohltuenden Effekt dieser Substanzen. Man mag sich täglich mit Freuden sein Vitamin E zuführen –
     bisher kann niemand mit Sicherheit sagen, ob man sich damit wirklich etwas Gutes tut. Der Organismus selbst produziert eine
     Reihe von Antioxidantien – und das gratis.
    Was haben die Bewohner aus dem Hunzatal, Abchasien, Ogimi und Vilcabamba gemein? Sie leben fernab von Großstädten, die viele
     Annehmlichkeiten zu bieten haben – dafür eine kürzere Lebenserwartung mit sich bringen. Ogimi liegt am Meer, das Hunzatal,
     Abchasien und Vilcabamba im Gebirge. Ganz gleich, wie die Ernährung der Menschen konkret aussieht, sie fällt immer sparsam
     aus, das sollte man berücksichtigen. Die Tagesration |26| beläuft sich auf ungefähr tausendsiebenhundert Kalorien und liegt damit unterhalb des empfohlenen Richtwertes. Manche Forscher
     unterstützen die These, dass eine kalorienarme Ernährung lebensverlängernd wirkt, doch bevor wir im ersten Sturm der Begeisterung
     unsere alten Herrschaften auf Diät setzen, sollten wir erst mal abwarten, ob sich diese Behauptung bewahrheitet.
    In jedem Fall weiß man in Vilcabamba wie in Ogimi, im Hunzatal wie in Abchasien, was es bedeutet, alt zu werden. Eine Frage,
     die ich mich nie getraut habe meinem Vater zu stellen.

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    Der Stationsarzt ist nicht da. Die Schwester sagt, er habe sich mit Fieber krankgemeldet. Das bedauere ich sehr, denn es ist
     für mich immer eine Erleichterung, einen Eingeweihten anzutreffen, wenn ich meinen Vater wieder ins Krankenhaus bringen muss.
     Oder was von meinem Vater noch übrig ist, müsste ich eigentlich sagen.
    Nach mehreren Infarkten sind die Funktionen von Hirn und Herz stark beeinträchtigt. Auf dem einen Auge sieht er nichts mehr,
     und eigentlich müsste man ihm die Nebenschilddrüse entfernen. Er hat Diabetes und Bluthochdruck und muss regelmäßig an die
     Dialyse-Maschine. Eines Tages haben seine Nieren den Dienst versagt. Er hatte mehrere intestinale Blutungen, wurde an der
     Prostata operiert und leidet unter Herzrhythmusstörungen, die man jedoch mit Medikamenten in den Griff bekommen hat. Er kann
     nicht mehr laufen, die Muskeln haben sich inzwischen zurückgebildet. Außerdem hat er einen sogenannten Diabetikerfuß. Am |28| rechten hat er eine kleine Wunde, die nicht mehr heilt. Am linken fehlt ihm ein Zeh, der vor einem Jahr in einer Blitzaktion
     amputiert werden musste.
    Anfangs gab es Reibereien mit dem Arzt, weil er der Ansicht war, dass mein Vater in seinem Alter und in seinem Gesundheitszustand
     nicht für eine Dialyse geeignet sei.
    »Bei Leuten über siebzig und in dem Zustand, in dem Ihr Vater ist, führt man keine Dialyse mehr durch. Das Gesetz legt keine
     Grenzen fest, aber wenn man jeden an die Dialyse hängen würde, bräche das Gesundheitssystem irgendwann zusammen. Außerdem
     ist das Leben für den Patienten eine Qual. Die Entscheidung liegt in Ihrer Hand.«
    Wenn man alt und krank ist und nicht mehr für sich sorgen kann, reduziert sich die Existenz auf das biologische
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