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Das Tal der Hundertjährigen

Titel: Das Tal der Hundertjährigen
Autoren: Ricardo Coler
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Gesundheit betonen. Aber sie essen auch Schweinefleisch, und das
     mehr als an anderen Orten Japans.
    Sie rauchen nicht, genießen Alkohol in Maßen, und es gibt keine Hinweise darauf, dass unter den alten Herrschaften Drogen
     kursierten. Umweltschädliche Fabriken gibt es nicht; in Ogimi atmet man reine Seeluft. Sie treiben Sport, und selbst betagte
     Greise schwingen sich noch aufs Rad – das Fahrrad ist ohnehin das ideale Transportmittel in den engen Straßen des Dorfes.
     Grüner und schwarzer |171| Tee sind sehr beliebt, und beide Sorten enthalten viele Antioxidantien.
    Die Bewohner von Ogimi führen ein beschauliches Leben in der Gemeinschaft. Darum kümmert sich die Ortsverwaltung in Ogimi.
     Sie hat Geld, Zeit und das nötige Personal.
    Die alten Menschen werden verehrt; Altsein ist hier gleichbedeutend mit Glamour. Überall, in Geschäften und an öffentlichen
     Plätzen, sieht man Plakate mit den Gesichtern der ältesten Bewohner. Das medizinische Vorsorgeprogramm ist gut und das Gesundheitssystem
     effektiv und für jedermann zugänglich. Das durchschnittliche sozioökonomische Niveau ist hoch.
    Es gibt in Japan zwei Hauptreligionen: den Buddhismus und den Schintoismus. Viele Menschen folgen beiden Pfaden. Hier wird
     nicht ständig von Sünde und Strafe gepredigt oder mit der Hölle gedroht. Warum auch sollte man Hundertjährigen vor der Zukunft
     Angst machen?
    Trotz all dieser Vorteile leben die Menschen in Ogimi nicht so lange wie die Bewohner Vilcabambas, wo die hygienischen Verhältnisse
     zu wünschen übriglassen und das Geld knapp ist. Würde man die körperliche Fitness nach Altersgruppen testen, schnitten die
     Bewohner Ogimis schlechter ab.
    Der Arzt in Ogimi, mit dem ich gesprochen |172| habe, Doktor Hueis, berichtete mir, dass seine betagten Patienten an Bluthochdruck, Osteoporose und hohen Cholesterinwerten
     litten. Außerdem würden die Frauen älter als die Männer. Doktor Wilson Correa aus Vilcabamba hingegen bescheinigte seinen
     weit älteren, zumeist männlichen Schützlingen einen guten Gesundheitszustand.
    Vilcabamba birgt ein Geheimnis. Sollten wir es eines Tages lüften, geriete der historisch verbürgte Absolutheitsanspruch des
     Todes ins Wanken. Hoffen wir, dass der Sensenmann uns das nicht übelnehmen wird.

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    |174| Leseprobe aus
     
     
    Ricardo Coler
     
     
    Das Paradies ist weiblich
     
    Eine faszinierende Reise
    ins Matriarchat
     
     
    Aus dem argentinischen Spanisch
    von Sabine Giersberg
     
    |176| Nach sechs Stunden Fahrt über einen holprigen Gebirgspass hält Dorje, ein fülliger Tibeter in den Dreißigern mit üppigem Haar,
     den Jeep an. Wir befinden uns in mehr als 3000 Meter Höhe, herabgestürzte Felsbrocken versperren uns den Weg, und zu unserer
     Linken lauert der Abgrund. Dorje steigt aus, um zu prüfen, ob und wie man dem Geröll ausweichen könnte. Ich beobachte ihn,
     wie er ein paar Schritte in diese, dann in jene Richtung macht, wie er in die Hocke geht, kritisch in den Schlamm fasst, den
     Kopf nach vorne fallen lässt und einen Augenblick reglos vor den Steinen verharrt – dieser Mann hat so gar nichts von einem
     tibetanischen Mönch, wie ich ihn mir vorgestellt habe.
    Schließlich kommt er entschlossen zum Wagen zurück. Beherzt lässt er den Motor an und gibt Gas. Eines der Räder hängt frei
     in der Luft. Ich halte den Atem an und lehne mich, die Hände fest um den Rucksack geklammert, mit meinem ganzen Gewicht zur
     anderen Seite. Ich weiß nicht wie, aber |177| wir schaffen es und lassen die Hürde glücklich hinter uns.
    Der Ort, zu dem wir unterwegs sind, heißt Luoshui und ist auf meiner Karte nicht eingezeichnet – ein eigenartiges Gefühl,
     sich auf diesem Höhenweg in einem Geländewagen durchrütteln zu lassen, um an einen scheinbar nicht existierenden Punkt zu
     gelangen. Dabei erinnere ich mich gut an Luoshui, ein malerisches Dorf an den Ufern des Lugu, eines der größten Gebirgsseen
     von ganz Asien; ein Ort, an dem man eines der letzten Matriarchate dieser Welt bewundern kann: Hier leben die Mosuo, und bei
     den Mosuo ist man im Reich der Frauen.
    Vor knapp einem Jahr bin ich schon einmal in Luoshui gewesen, und als ich mich damals verabschiedete, wusste ich, dass ich
     wiederkommen würde. Ich war fasziniert von dieser Gesellschaft, in der die Frauen das Sagen haben, ihre Sitten und Gebräuche
     stellten alles in Frage, was für mich bis dahin logisch und erstrebenswert, schlicht die natürliche Ordnung der Dinge zu
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