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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse
Autoren: Stephen King
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Nervenreflexe in meiner Großhirnrinde. Vielleicht war es ja möglich, wieder in die Wellen dieser warmen, endlosen Dunkelheit einzutauchen, wenn ich nur meine Augen fest geschlossen hielt und versuchte, weder zu atmen noch mich zu bewegen. 
    Aber es gelang mir nicht. Immer wieder tauchte ich auf. Ich hörte Geräusche – piepsende Geräusche, rhythmisches Zischen, Stimmen. Meine Lungen füllten sich selbst dann mit Luft, wenn ich versuchte, nicht zu atmen. Ungebetene Gedanken schoben sich immer wieder vor meine Sehnsucht nach dem Tod. Wenn ich mich zum Beispiel an Madeline Kruger erinnern konnte und auch daran, dass es so etwas wie Apperzeption gab, bedeutete das dann nicht, dass mein Gehirn noch immer arbeitete? Dass wir noch immer in einem Körper vereint waren? Und dieses Ameisengewimmel in Madelines Wunden! Dass ich mich daran erinnerte, bedeutete doch, dass ich ein Gehirn hatte, womit ich mich erinnern konnte, oder etwa nicht? Und dass ich meine Augen nur aus purer Willenskraft geschlossen hielt, bedeutete doch, dass ich Augenlider hatte und über Willenskraft verfügte. Und das wiederum bedeutete … Jammerschade!

SCHLECHT
    Wieder hörte ich dieses Piepsen, das rhythmische Zischen, die Stimmen. Und dann war da das untrügliche Zeichen dafür, dass ich noch am Leben war: Schmerzen. Die starken Kopfschmerzen waren der beste Beweis dafür, dass ich einen Kopf hatte, wie auch eine Uhr der untrügliche Beweis für die Existenz eines Uhrmachers ist. Und wenn das der Fall war, sollte ich schleunigst dafür sorgen, dass ich wieder ins Land der Lebenden zurückkehrte, denn im Jenseits konnten Kopfschmerzen, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, bis in alle Ewigkeit andauern. Das Innere meiner Augenlider war indigofarben und wurde von feinen, blutroten Äderchen durchzogen, was mich an die Farbe eines gewitterschwangeren Nachthimmels erinnerte. Ich ließ zu, dass sie sich hoben. Und das, was ich dann sah, hätte ebenso gut der Himmel wie auch die Hölle sein können, getarnt als Intensivstation.
    Vermummte Figuren mit Hauben auf den Köpfen huschten herbei und beugten sich unter grellem Licht über mich. Sie trugen sakrale Gefäße umher und intonierten lateinische Sprechgesänge. Ein Dämon mit ornamentalem Kopfschmuck beugte sich mit seltsamen Waffen in den Händen über mich.
    »Herzkammerflimmern!«, rief er hinter seiner rituellen Maske, »Defi. Auf 200 Joule aufladen. Weg vom Bett! Schuss!«
    Dieser Bastard wollte mich erschießen!
    Wumm! Plötzlich schwebte ich wieder unter der Zimmerdecke und blickte auf seinen von einer Haube bedeckten Hinterkopf herab, der sich über meine blasse, schlaffe Brust beugte.
    Versuchs nur, du Dämon. Du wirst schon sehen, was du davon hast.
    Ich wusste, dass ich meinen Körper wieder verlassen hatte, denn ich kannte mich mit Nahtod-Erfahrungen aus. Ich hatte viel darüber gelesen.
    Irgendwo tief in meinem erneut körperlosen Zustand schien ein dumpfes Tosen widerzuhallen (eigentlich unsinnig, eine Leere, die widerhallt, ich weiß). Das Tosen wurde lauter und schien mich plötzlich nach oben zu tragen, als wäre ich ein Falke, der im warmen Aufwind kreist. Aber anstatt zwischen Wattewolken durch einen königsblauen Himmel zu schweben, kam es mir so vor, als würde ich in einem dunklen Schacht nach oben gewirbelt, an dessen Wänden aus fleckigen Schlackensteinen rostige Eisenschienen befestigt waren. Über mir sah ich ein Licht, und als ich nach unten blickte, erkannte ich, dass ich mich in einem Aufzugschacht befand. Unter mir fuhren Aufzugkabinen in die Tiefe – an Stahlseilen hängende Käfige voller Menschen, die wild zu mir herauf gestikulierten, sich aneinander festklammerten, mir ihre Arme entgegenstreckten, verzweifelt versuchten, aus dem Käfig zu entkommen, mich anflehten, um Gnade wimmerten. Aber die Kabinen sanken unaufhaltsam immer weiter hinab in die infernalische Tiefe, wo Schatten gegen Flammen kämpften.
    Ich schaute wieder hinauf in das strahlend weiße Licht, auf das ich mich immer weiter zubewegte. Ich hörte, wie eine Stimme mir aus dem Licht heraus etwas zurief, und spürte die Gegenwart von etwas Unbeschreiblichem, das mich zu sich zu rufen und mit zarten Ranken aus weißem Licht zu umschlingen schien.
    Mir war, als läse ich das Drehbuch eines trashigen Fernsehfilms mit dem Titel »Sally Druse und das Licht am Ende des Tunnels«. Ich habe mich intensiv mit dem befasst, was Psychologen und Neurowissenschaftler als Außerkörperliche Erfahrungen
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