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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse
Autoren: Stephen King
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lag.
    Schwester Werling und ich schrien auf und wären vor Schreck beinahe selbst tot umgefallen. Zitternd und unfähig zu atmen klammerten wir uns aneinander wie zwei verängstigte kleine Mädchen, von denen ein jedes Angst hatte, das andere könnte es in diesem Zimmer mit der entsetzlichen Leiche allein zurücklassen. 
    Aber das war noch nicht alles. Das Schlimmste kam erst noch.
    Die Wunde, die Madeline sich in ihre Kehle gestochen hatte, klaffte wie ein zweiter Mund, und aus dem hässlichen Spalt quollen Scharen schwarzer Ameisen. Auch aus den eitrigen Löchern in ihren Händen wuselten Ameisen hervor, die sich hungrig auf die Wundränder stürzten. Es war, als wäre ein gewaltiges schwarzes Heer dabei, ihren leblosen Körper in Beschlag zu nehmen.
    Ein gellendes Lachen drang vom Korridor herein.
    Ich erkannte die Stimme sofort als die des alten Mannes, der sich vorhin seine Tabletten von der Stationszentrale abgeholt hatte.
    Willst du wissen, was Liebe ist?

 

TODESNÄHE

DIE SALZSÄULEN
    WENN DER MENSCHLICHE INTELLEKT unversehens mit dem Übernatürlichen konfrontiert wird, kann das mitunter den Tod zur Folge haben (die reinste aller Epiphanien). Manche Dinge, wie zum Beispiel Mysterien, Wunder, Abscheulichkeiten, Launen der Natur, Engel, Dämonen und andere Manifestationen des Übersinnlichen in der materiellen Welt sind für uns Normalsterbliche einfach zu viel. Dazu zählten auch die Medusa und die anderen beiden von Aischylos beschriebenen Gorgonen, bei deren Anblick ein jeder zu Stein wurde. Wenn wir unseren Blick nicht rechtzeitig abwenden, müssen wir sterben.
    Manchmal sterben wir aber nicht sofort vor Angst, sondern überleben den ersten Schreck, nur um dann unter dem Eindruck eines tief in unser Gedächtnis eingebrannten schauderhaften Schreckbilds, einer einzigen fixen Idee, langsam zugrunde zu gehen.
    Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und so weiter und so fort.
    Jorge Luis Borges schrieb in seiner Erzählung »Der Zahir« über eine Münze, die keiner, der sie je erblickt hatte, wieder vergessen konnte. Das Wort Zahir kommt aus dem Arabischen (wo es einer der neunundneunzig Namen Gottes ist) und bedeutet unter anderem »sichtbar« und »die Oberhand gewinnen«. In muslimischen Ländern verbindet man die Bezeichnung Zahir aber auch mit solchen Wesen oder Dingen, die sich so tief ins Gedächtnis einbrennen, dass ihr bloßer Anblick die Menschen schließlich in den Wahnsinn treibt. Es ist, als ob Zahire oder andere böse Geister den Verstand mit Vorstellungen infizieren, die noch heimtückischer und furchteinflößender sind als sie selber. Die Erinnerung bläht diese Vorstellungen so stark auf, dass sie zu einer tödlichen Obsession werden, die einem nach und nach den Verstand raubt. Und dann sterben wir, weil wir einer einzigen fixen Idee folgend der ganzen Welt entsagt haben.
    Der Anblick von Madeline Krugers von Ameisen wimmelnder Leiche traf mich mit solcher Wucht, dass ich augenblicklich meinen Geist aufgab. Meine Knie gaben nach, der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen, und ich knallte mit dem Hinterkopf auf den Marmorboden.
    Auf dem Rücken liegend schaute ich hinauf zur Zimmerdecke mit den nicht eingeschalteten Lampen und konnte in panischer Angst nur an eines denken: dass ich mir nur ja nicht die Hüfte gebrochen hatte. In meinem Alter ist –
    auch bei der besten Osteoporoseprophylaxe – eine standrechtliche Erschießung einer gebrochenen Hüfte bei weitem vorzuziehen. Wenn meine Hüfte gebrochen ist, dann legt mich bitte gleich ins Grab. Vielen Dank. Amen.
    Fast wäre mein spontan geäußerter Todeswunsch in Erfüllung gegangen, denn während ich bewegungsunfähig dalag, zog sich die Dunkelheit langsam um mich herum zusammen und blendete die sichtbare Welt immer mehr aus.
    Zunächst glaubte ich, nach unten zu stürzen wie Alice im Wunderland in den Kaninchenbau. Aber dieses Gefühl währte nur kurz. Gleich darauf schwebte ich knapp unterhalb der Zimmerdecke, von wo ich hinunterblickte und zusah, wie Schwester Werling für meine Wenigkeit ein Notfallteam herbeirief. 
    Offen gesagt, wäre es mir ganz recht gewesen, hier auf dem Fußboden des Krankenhauses mein Leben auszuhauchen. Ich hatte nie vorgehabt, zu Hause zu sterben und dort womöglich als Geist herumzuspuken. Wenn Bobby einmal das Haus erbte, sollte er sich nicht mit der Vorstellung herumquälen müssen, mich dort tot aufgefunden zu haben. Wenn meine Zeit hier auf
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