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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse
Autoren: Stephen King
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Nachtschicht hält das wohl für eine angemessene Kompensation für Ottos Sehschwäche.
    Otto hat auch einen deutschen Schäferhund namens Blondi, den er auf seinen Kontrollgängen mitnimmt und der jetzt gerade unter dem Kontrollpult lag und an einem Büffelhautknochen herumkaute.
    Als Bobby mich kommen sah, versteckte er rasch seine Pfeife und den Tabaksbeutel. Diese Raucherei war wirklich eine schreckliche Angewohnheit! Seine Zähne waren schon ganz gelb davon. Er maulte ein bisschen herum, weil ich bei diesem Wetter doch mit dem Auto gefahren war, aber was konnte er schon groß sagen? Hier stand ich: der lebende Beweis dafür, dass ich die Fahrt ohne Zwischenfall bewältigt hatte. Bevor ich mich mit Bobby sehen lassen konnte, musste er sich noch etwas herrichten. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab, und das Hemd hing ihm aus der Hose, was ihn noch unförmiger wirken ließ, als er ohnehin schon war. Mit Kamm und Zahnbürste schickte ich ihn auf die Männertoilette, damit er halbwegs präsentabel aussah. Dabei fragte ich mich, was er nur immer mit seinen Schuhen machte, die Absätze waren schon wieder völlig heruntergelatscht.
    Als er aus der Toilette zurückkehrte, hatte er sich das Haar auf der einen Seite patschnass gegen den Kopf geklatscht, während es auf der anderen immer noch strohig wie Büschel von Winterweizen in die Luft ragte. Auf dem Weg zu den Aufzügen beschwerte er sich lautstark, weil ich ihn wie einen kleinen Jungen kämmte. Er hatte sich entschlossen, mit mir hochzufahren für den Fall, dass die Stationszentrale der Psychiatrischen Abteilung nicht besetzt war und mich niemand hineinlassen konnte.
    Um mir einen offizielleren Anstrich zu geben, steckte ich mir mein Namensschild an, das mich als ehrenamtliche Hospizhelferin des Krankenhauses auswies, und dann ging’s hinauf in die Psychiatrie.
    Ich war bereits selbst Patientin im Kingdom Hospital gewesen und hatte dabei neben der Inneren auch die Orthopädische und die Neurologische Abteilung kennen gelernt.
    Auf der Psychiatrie war ich noch nie gewesen, aber im Hospiz hatte ich einmal eine schizophrene alte Dame betreut, die man aus dieser Abteilung zu uns verlegt hatte. Sie hatte mir immer ins Ohr geflüstert: »Erzählen Sie es keinem weiter, aber der Arzt sagt, ich hätte mir diesen Schlitzohrphrenie-Virus eingefangen, der überall kursiert.«
    Der Aufzug hielt, und wir traten hinaus in den offenen Wartebereich vor der hell erleuchteten, mit großen Drahtglasscheiben versehenen Stationszentrale, an der jeder vorbeimusste, der in die Psychiatrie wollte.
    Die Zentrale war mit einer einzigen Schwester besetzt, die vor einer aufgeschlagenen Krankenakte saß und telefonierte.
    Als sie Bobby und mich sah, lächelte sie uns kurz zu. Bobby kramte einen an einer Kette befestigten Schlüssel aus der Hosentasche und schloss auf.
    Die Schwester deutete auf eine Kaffeekanne, aber wir schüttelten den Kopf. Auf ihrem Namensschild stand LAUREL WERLING und das R. N. für Registered Nurse – examinierte Krankenschwester. »Sie hat nur Brechwurztabletten bekommen«, sagte die Schwester ins Telefon. »Dr. Hook wollte ihr nichts anderes verordnen, weil nicht bekannt ist, welche Medikamente sie womöglich noch genommen hat, und er Wechselwirkungen befürchtet.« 
    Während wir warteten, sah ich mich in der Stationszentrale um. Sie unterschied sich deutlich von allen anderen im Kingdom. Die Türen zur Station waren mit elektrisch verriegelbaren Sicherheitsschlössern und Sichtfenstern aus Drahtglas ausgestattet und gingen auf dämmrige Korridore hinaus, an deren Enden rötliche EXIT-Zeichen glommen. Ich blickte durch eines der Sichtfenster in den Türen in den dahinter liegenden Gang, wo ein hagerer, alter Mann in einem schmutzigen und ausgefransten Flügelhemd langsam heranschlurfte. Während er sich der von Neonröhren erleuchteten Stationszentrale näherte, kam er mir vor wie eine Erscheinung, die sich auf einem Friedhof langsam aus dem Nebel schält. Vor der verriegelten Tür blieb er stehen und spähte durch das Drahtglas zu uns herein. Das kleine Fenster wirkte dabei wie ein Bilderrahmen um seinen kahlen, mit Altersflecken übersäten Kopf, auf dessen pergamentartiger Haut sich eine blasse Narbe im Zickzack von der linken Schläfe bis hinters Ohr zog. Irgendwie kam er mir bekannt vor.
    Aber woher? War ich ihm vielleicht in jungen Jahren schon einmal begegnet oder hatte ich irgendwo ein Foto von ihm gesehen? Erinnerte er mich an William Burroughs
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