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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse
Autoren: Stephen King
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Kloake für die ungefilterten Abwässer der Papierfabrik. Die Leute behaupteten, dass die Dämpfe den Anstrich der Häuser abblättern ließen und die Lungen der Kinder verätzten. »Geld stinkt eben doch«, hatten die Anwohner immer gesagt. Wie dem auch gewesen sein mag, jedenfalls mussten Madeline und ich eine Woche lang nicht in die Schule und dafür in diesem alten Mullbinden-Hotel, das übrigens kurz darauf bis auf die Grundmauern abbrannte, das Bett hüten. 
    Danach trennten sich unsere Wege: Madeline ging auf die St. Dominics Highschool, ich auf die Lewiston High. Später besuchte ich die University of Maine in Orono und verlor sie ganz aus den Augen. Irgendwann erfuhr ich, dass sie ans Vassar College in New York gegangen war und dort, wenn ich mich recht erinnere, als eine der besten ihres Jahrgangs ihren Abschluss in Philosophie oder Theologie gemacht hatte. Ich selbst studierte fünf Jahre lang Parapsychologie und PSI-Phänomene in Europa, bis ich wieder nach Lewiston zurückkehrte und eine Anstellung an der Psychologischen Fakultät des Faust College erhielt. Auch Madeline zog wieder nach Lewiston, hat jedoch weder promoviert noch unterrichtet.
    Sie heiratete Lloyd, blieb zu Hause und kümmerte sich um die Kinder. Jemand erzählte mir irgendwann einmal, dass sie an einem Roman arbeite und ein oder zwei Kurzgeschichten in Literaturmagazinen veröffentlicht habe.
    Als wir so um die vierzig waren, liefen wir uns ein paar Mal über den Weg. Ich erinnere mich noch, wie wir uns gegenseitig unser Leid klagten, weil wir beide von unseren Ehemännern verlassen worden waren. In der Mitte ihres Lebens hatten sie uns gegen neuere Modelle ausgetauscht, und wir konnten nun zusehen, wie wir alleine ihre vaterlosen Kinder großzogen. Es war die übliche, langweilige Geschichte; in dieser Hinsicht hat sich seit damals nichts geändert. Während ich mich neben meiner Arbeit zusätzlich um unseren Sohn Bobby kümmerte, hatte sich mein Gatte Randall, der wie ich Professor am Faust College war, mit einer seiner Kunstgeschichtsstudentinnen aus dem Staub gemacht. Madeline war es ähnlich ergangen, als ihr Junge und ihre beiden Mädchen noch in der Grundschule waren. Wenn es stimmte, was man beim Friseur so hörte, dann hatte Lloyd sich in eine geschiedene Immobilienmaklerin mit einer 96er Oberweite verguckt, die ihm eines Tages wohl mehr gezeigt hatte als nur ein Haus. Das muss in den frühen Siebzigern gewesen sein. Auch nach ihrer Scheidung habe ich Madeline noch ab und zu gesehen, und jedes Mal kam es mir so vor, als hätte sich ein schwarzer Schleier hinter ihre Augen gelegt, den niemand mehr zur Seite zog, so dass ihr brillanter Intellekt dahinter verkümmerte.
    Später erfuhr ich über mehrere Ecken, dass sie mit Depressionen, Essstörungen und Angstzuständen zu kämpfen gehabt hätte und abwechselnd mit Antidepressiva und Elektroschocks therapiert worden sei.
    Ich hatte immer vorgehabt, sie mal anzurufen und zu fragen, wie es ihr ging, aber dann wurde die Zahl meiner Vorlesungen am Faust College verdoppelt, und mein heranwachsender Sohn brauchte jede Menge Zuwendung, und ehe ich mich versah, waren Jahrzehnte vergangen, ohne dass wir uns gesehen hatten.
    Jetzt war ihre Melancholie wohl durch die Plagen des Alters noch verstärkt worden und zu einer selbstzerstörerischen Verzweiflung angewachsen. Auf meiner Fahrt auf den vereisten Straßen betraute ich mich selbst mit einer Mission: Wenn Madeline wieder aufwachte, würde ich bei ihr sein und sie wieder willkommen heißen in dieser Welt, die sie gerade auf so entschiedene Art und Weise versucht hatte zu verlassen.
    Zusammen mit ein paar Pick-ups folgte ich einem Schneepflug bis zum Kingdom Hospital und stellte meinen Wagen auf dem fast leeren Ärzteparkplatz ab. Obwohl man zwischen Parkplatz und Krankenhaus schon Schnee geräumt hatte, war der Fußweg zur Notaufnahme eine einzige Rutschbahn. Ungelenk wie ein Pinguin auf Schlittschuhen bewegte ich mich nur langsam vorwärts, und um nicht zu stürzen und mir alle Knochen zu brechen, musste ich mich den ganzen Weg über am Geländer festhalten.
    Bobby versteht sich gut mit Otto, dem Wachmann, und so wunderte es mich nicht, dass ich die beiden zusammen in Ottos verglaster Pförtnerloge direkt neben dem Eingang der Notaufnahme entdeckte. Weil Ottos Augen hinter ihren flaschenbodendicken Brillengläsern schnell müde werden, kontrolliert Bobby manchmal für ihn die Monitore. Niemand stört sich daran, und der Chef der
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