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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel
Autoren: Alexander Kuprin
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Geige spielen gelernt und spielt abends zum Tanz auf, er kann auch einen Trauermarsch intonieren, wenn es zechende Kommis nach saufseligen Tränen verlangt.
    Dann sind da die beiden Wirtschaftsverwalterinnen – die erste und die zweite. Die erste heißt Emma Eduardowna. Sie ist eine große, füllige Brünette von etwa sechsundvierzig Jahren, mit fettem Kropf beziehungsweise Dreifachkinn. Ihre schwarzen Augenringe lassen auf Hämorrhoidalbeschwerden schließen. Ihr Gesicht verbreitert sich von der Stirn abwärts zu den Wangen wie eine Birne, und es ist erdfarben; dazu kleine schwarze Augen, eine Höckernase, streng zusammengepreßte Lippen; der Gesichtsausdruck gelassen und herrschsüchtig. Es ist für keinen im Haus ein Geheimnis, daß Anna Markowna in ein bis zwei Jahren, wenn sie sich zur Ruhe setzt, das Etablissement mit sämtlichen Rechten und der gesamten Einrichtung an sie verkaufen wird, wobei sie einen Teil in bar erhält und einen Teil ratenweise auf Wechsel. Deshalb respektieren die Mädchen Emma Eduardowna gleichermaßen wie die Chefin und haben Angst vor ihr. Wer sich etwas zuschulden kommen läßt, den schlägt sie eigenhändig, und sie schlägt derb, kalt und berechnend, ohne ihren gelassenen Gesichtsausdruck zu verändern. Unter den Mädchen hat sie stets eine Favoritin, die sie mit ihrer anspruchsvollen Liebe und ihrer phantastischen Eifersucht quält. Und das ist viel schwerer zu ertragen als Schläge.
    Die andere heißt Sossja. Sie ist erst vor kurzem aus den Reihen der gewöhnlichen Freudenmädchen avanciert. Vorläufig reden die Mädchen sie unpersönlich an, sie nennen sie schmeichlerisch und familiär Mamsellchen. Sie ist hager und zappelig, schielt ein wenig, hat ein rosiges Gesicht und Kräusellöckchen. Sie schwärmt für Schauspieler, vorzugsweise für dicke Komiker. Emma Eduardowna gegenüber verhält sie sich liebedienerisch.
    Schließlich die fünfte Person – der Revieraufseher Körbesch. Das ist ein athletischer Mann; er hat eine Glatze, einen fächerförmigen roten Bart, grellblaue schläfrige Augen und eine dünne, etwas heisere, angenehme Stimme. Alle wissen, daß er früher bei der Kriminalpolizei gearbeitet hat und dank seiner unheimlichen Körperkraft und seiner Grausamkeit bei Verhören der Schrecken aller Gauner war.
    Er hat einige dunkle Affären auf dem Gewissen. Die ganze Stadt weiß, daß er vor zwei Jahren eine reiche Siebzigjährige geheiratet hat und sie im vorigen Jahr erwürgte; doch irgendwie hat er die Sache zu vertuschen gewußt. Und auch die übrigen vier haben einiges hinter sich in ihrem turbulenten Leben. Jedoch genau wie die Duellanten früher beim Gedanken an ihre Opfer keinerlei Gewissensbisse empfanden, so betrachten auch diese Leute das Finstere und Blutige in ihrer Vergangenheit als unvermeidliche kleine Unannehmlichkeiten des Berufes.
    Sie trinken Kaffee mit fetter flüssiger Sahne, der Revieraufseher mit Benediktiner-Likör. Das heißt, eigentlich trinkt er gar nicht, sondern gibt sich nur den Anschein, das Angebotene nicht zu verschmähen.
    »Aber wieso denn, Foma Fomitsch?« fragt die Hausherrin scheinheilig. »Diese Sache ist doch nicht der Rede wert … Ein Wort von Ihnen, und …«
    Körbesch schlürft langsam ein halbes Glas Likör, verteilt die scharfe ölige Flüssigkeit sacht mit der Zunge am Gaumen, schluckt sie hinunter, trinkt gemächlich Kaffee nach und streicht sich dann mit dem Ringfinger der linken Hand nach rechts und nach links über den Schnurrbart.
    »Bedenken Sie doch, Madame Schäubes«, sagt er, den Blick auf den Tisch gesenkt, wobei er die Hände ausbreitet und das Gesicht verkneift, »bedenken Sie, welches Risiko ich hier eingehe! Das Mädchen wurde auf betrügerische Weise verführt zu diesem … wie soll ich sagen … nun ja, ins Freudenhaus zu gehen, um es vornehm auszudrücken. Jetzt lassen die Eltern sie durch die Polizei suchen. So weit – so gut. Sie gerät von einem Ort an den anderen, vom fünften an den zehnten … Und schließlich findet sich die Spur bei Ihnen, und vor allem – bedenken Sie! – in meinem Revier! Was soll ich denn machen?«
    »Aber Herr Körbesch, sie ist schließlich volljährig!« sagt die Chefin.
    »Jawohl, volljährig«, bestätigt Issai Sawwitsch. »Hat unterschrieben, daß sie freiwillig …«
    Emma Eduardowna äußert mit tiefer Stimme und im Brustton der Überzeugung: »Bei Gott, sie wird hier gehalten wie eine leibliche Tochter.«
    »Aber darum geht es ja nicht.« Der Revieraufseher
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