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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel
Autoren: Alexander Kuprin
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verzieht ärgerlich das Gesicht. »Versetzen Sie sich in meine Lage … So ist nun mal mein Dienst. Herrje, als ob ich nicht schon genug Ungelegenheiten hätte!«
    Die Chefin steht plötzlich auf, schlurft zur Tür und zwinkert dem Revieraufseher aus trägem, ausdruckslosem, blaßblauem Auge zu.
    »Bitte, Herr Körbesch«, sagt sie, »sehen Sie sich doch einmal unsere Neuerungen an. Wir wollen das Lokal ein bißchen erweitern.«
    »Aha! Recht gern …«
    Zehn Minuten später kehren beide zurück, ohne einander anzusehen. Körbeschs Hand knüllt in der Rocktasche einen neuen Hundertrubelschein. Das Gespräch über das verführte Mädchen wird nicht wiederaufgenommen. Der Revieraufseher trinkt eilig seinen Benediktiner aus und beklagt sich über den gegenwärtigen Sittenverfall: »Ich habe einen Sohn auf dem Gymnasium, Pawel. Kommt der Bengel doch eines Tages nach Hause und erklärt mir: ›Papa, die anderen Jungs beschimpfen mich, weil du Polizist bist und im Viertel Dienst machst, sie sagen, du nimmst Bestechungsgelder von den öffentlichen Häusern.‹ Nun sagen Sie, um alles in der Welt, Madame Schäubes, ist das nicht eine Frechheit?«
    »Oje, oje! Und wieso denn Bestechungsgelder? … Mir ist neulich auch was passiert …«
    »Ich sage zu ihm: ›Geh zum Direktor, Nichtsnutz, und sag ihm, daß so etwas nicht wieder vorkommen darf, sonst macht dein Papa über euch alle Meldung beim Kreispolizeichef.‹ Und was meinen Sie? Er kommt wieder und sagt: ›Ich bin nicht mehr dein Sohn, such dir einen anderen.‹ Auch ein Argument! Na, ich hab's ihm kräftig gegeben! Olala! Jetzt spricht er nicht mehr mit mir. Na, ich werde es ihm schon zeigen!«
    »Ach, das ist noch gar nichts«, seufzt Anna Markowna, während sie ihre rote Unterlippe hängenläßt und ihre blassen Augen sich verschleiern. »Unsere Bertotschka – sie ist in Fleischers Gymnasium –, die lassen wir absichtlich in der Stadt wohnen, bei einer ehrbaren Familie. Sie verstehen, es ist trotz allem peinlich. Und auf einmal bringt sie aus dem Gymnasium solche Wörter und Ausdrücke mit, daß ich richtiggehend rot geworden bin.«
    »Wahrhaftigen Gottes, Annotschka ist ganz rot geworden«, bestätigt Issai Sawwitsch.
    »Es ist auch zum Rotwerden!« stimmt der Revieraufseher heftig zu. »Ja, ja, ja, ich verstehe Sie. Aber, mein Gott, wo kommen wir bloß hin! Wo kommen wir denn nur hin! Ich frage Sie, was wollen denn diese Revolutionäre und all diese Studenten oder … wie heißen sie doch gleich? Die sollten lieber vor der eigenen Tür kehren. Wohin man schaut, überall Ausschweifung, die Moral sinkt, keine Achtung vor den Eltern mehr. Man müßte sie alle erschießen.«
    »Ja, vor drei Tagen, da war bei uns was los«, mischt Sossja sich eifrig ein. »Da kam ein Gast, so ein Dicker …«
    »Halt die Klappe!« fällt Emma Eduardowna ihr streng ins Wort, die, den Kopf zur Seite gelegt, dem Revieraufseher mit andächtigem Nicken gelauscht hat. »Sie sollten lieber gehen und sich ums Frühstück für die Damen kümmern.«
    »Auf keinen einzigen Menschen ist Verlaß«, fährt die Chefin griesgrämig fort. »Jeder Dienstbote ein Lump, ein Betrüger. Und die Mädchen denken an nichts als an ihre Liebhaber. Daß sie nur ja ihren Spaß haben. Aber an ihre Pflichten denken sie nicht.«
    Peinliches Schweigen. Es klopft an der Tür. Eine dünne Frauenstimme sagt von draußen: »Mamsellchen! Ich bringe Geld und möchte Marken haben. Petja ist gegangen.«
    Der Revieraufseher steht auf und rückt seinen Säbel zurecht.
    »Wird Zeit, daß ich weiter Dienst mache. Empfehle mich bestens, Anna Markowna. Alles Gute, Issai Sawwitsch.«
    »Vielleicht noch ein Gläschen auf den Weg?« Der kurzsichtige Issai Sawwitsch beugt sich über den Tisch.
    »Danke ergebenst. Ich darf nicht. Hab schon genug. Habe die Ehre!«
    »Schönen Dank für den Besuch. Kommen Sie mal wieder.«
    »Mit Vergnügen. Auf Wiedersehen.«
    Doch an der Tür bleibt er noch einen Moment stehen und sagt vieldeutig: »Trotzdem, wenn Sie meinen Rat hören wollen: Schieben Sie dieses Mädchen lieber rechtzeitig ab. Ihre Sache, gewiß, aber als guter Bekannter – ich warne Sie.«
    Er geht. Als seine Schritte auf der Treppe verstummt sind und die Haustür hinter ihm zuklappt, schnieft Emma Eduardowna und sagt verächtlich: »Dieser Pharao! Will Geld von hier und von da …«
    Allmählich trollen sich alle aus dem Zimmer. Im Haus ist es dunkel. Süß duftet das welkende Riedgras. Stille.

3
    Bis zum Essen, das um sechs Uhr
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