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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel
Autoren: Alexander Kuprin
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Tabakrauch, tanzten hüftenschaukelnd und beineschwingend die Paare. Und die ganze Straße draußen erstrahlte von den roten Laternen über den Eingängen und von dem Licht aus den Fenstern, und es wimmelte bis zum Morgen von Menschen und Equipagen.
    Jetzt ist die Straße leer. Feierlich und froh glänzt sie in der Sommersonne. Im Saal jedoch sind alle Gardinen zugezogen, und dadurch ist es drinnen dunkel, kühl und auf jene besondere Art unwirtlich wie am hellichten Tage in leeren Theatern, Manegen und Gerichtssälen.
    Matt schimmert das Klavier mit seiner gekrümmten, schwarzpolierten Seitenwand, die schadhaften, klapprigen, altersschwachen Tasten leuchten gelblich. In der reglosen, abgestandenen Luft hängt noch der gestrige Geruch: Es riecht nach Parfüm und Tabak, nach der sauren Feuchtigkeit eines großen unbewohnten Raums, nach dem Schweiß ungesunder und unsauberer Frauenkörper, nach Puder, Bor-Thymol-Seife und nach den Resten des gelben Wachses, mit dem das Parkett gestern gebohnert wurde. Und in all diese Gerüche mischt sich mit seinem eigenartigen Reiz der Duft welkenden Sumpfgrases. Heute ist Pfingsten. Dem alten Brauch folgend, haben die Stubenmädchen des Etablissements am frühen Morgen, während ihre Gnädigen noch schliefen, auf dem Basar eine ganze Fuhre Riedgras gekauft und die langen, dicken Gräser, die unter den Füßen knirschen, überall hingestreut: auf den Gängen, in den Zimmern, im Saal. Sie waren es auch, die die Lämpchen vor allen Heiligenbildern angezündet haben. Das ist Tradition, denn die Dirnen wagen es nicht zu tun mit ihren des Nachts besudelten Händen.
    Der Portier hat den in russischem Stil gehaltenen, geschnitzten Torbogen mit zwei gefällten Birken geschmückt. Genauso hübsch stehen vor allen anderen Häusern an den Vortreppen, Geländern und Türen dünne weiße Stämmchen mit zartem, allmählich welkendem Grün.
    Still, öd und verschlafen wirkt das ganze Haus. Man kann hören, wie in der Küche das Fleisch fürs Mittagessen gehackt wird. Eines der Mädchen, Ljubka, wenig hübsch und sommersprossig, doch mit kräftigem, frischem Körper, ist barfuß, im bloßen Hemd und mit nackten Armen auf den Hof gelaufen. Sie hat gestern abend nur sechs flüchtige Besucher empfangen müssen, doch über Nacht ist niemand bei ihr geblieben, und deshalb hat sie sich wunderbar ausschlafen können, ganz allein im breiten Bett. Sie ist früh aufgestanden, um zehn, und hat der Köchin mit Vergnügen geholfen, in der Küche den Fußboden und die Tische zu wischen. Jetzt füttert sie mit Sehnen und anderen Fleischabfällen den Kettenhund Amour. Der große rotbraune Hund mit dem langen glänzenden Fell und der schwarzen Schnauze springt mit den Vorderpfoten an dem Mädchen hoch, wobei er die Kette bis zum äußersten strafft und vor Luftmangel japst, dann wieder beugt er den Rücken, wedelt mit dem Schwanz, neigt den Kopf zu Boden, grinst, winselt und niest vor Begeisterung. Und sie neckt ihn mit dem Fleisch und ruft ihm mit gespielter Strenge zu: »Na warte, du Schlingel! Was fällt dir ein?«
    Jedoch sie freut sich über Amours Aufregung und Zutraulichkeit, desgleichen über ihre Macht, die sie minutenlang über den Hund hat, und darüber, daß sie ausschlafen konnte und die Nacht ohne einen Mann verbringen durfte, und über Pfingsten, an das sie sich verschwommen aus der Kindheit erinnert, und über den funkelnden Sonnentag, den sie so selten zu sehen bekommt.
    Alle nächtlichen Besucher sind bereits fort. Jetzt kommt die ruhigste, für Alltagsgeschäfte am besten geeignete Stunde.
    Im Zimmer der Chefin wird Kaffee getrunken. Fünf Leute sind dort versammelt. Die Chefin selbst, unter deren Namen das Haus geführt wird – Anna Markowna. Sie ist knapp sechzig. Sehr klein ist sie, doch kugelrund; um einen Eindruck von ihr zu bekommen, stelle man sich drei Gallertkugeln übereinander vor – eine große, eine mittlere und eine kleine, ohne Zwischenräume aufeinandergequetscht; das sind ihr Rock, ihr Rumpf und ihr Kopf. Seltsam: sie hat blaßblaue Augen wie ein junges Mädchen, kindliche geradezu, doch ihr Mund wirkt greisenhaft mit der schlaff herabhängenden, feuchtroten Unterlippe. Ihr Mann – Issai Sawwitsch – ist ebenfalls klein, ein grauhaariges altes Männlein, still und wortkarg. Er steht unterm Pantoffel seiner Frau; er war Portier in ebendiesem Hause, seinerzeit, als Anna Markowna hier als Wirtschaftsverwalterin fungierte. Um sich nützlich zu machen, hat er unterdes selbständig
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