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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel
Autoren: Alexander Kuprin
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Verka, die mit ihrem Geliebten, der die Schande einer Unterschlagung fürchtet, in den Freitod geht, und der Kleinen Manka, die bei einer Schlägerei getötet wird – mehr oder minder in skizzenhaften Entwürfen ihrer Charaktere verbleiben, werden doch ihre Schicksale im Verlauf der Handlungsführung der drei Romanteile fast ausnahmslos bis zu Ende verfolgt, ebenso wie das Schicksal des Bordellviertels selbst, das sich in der Apokalypse eines blutigen Pogroms erfüllt. »Und all diese Henrietten, Dicken Katkas, Lelkas und wie sie alle heißen«, so resümiert Kuprin, »die immer naiv und dumm gewesen waren, oft rührend und komisch, größtenteils betrogene und mißbrauchte Kinder – sie alle wurden von der großen Stadt aufgesogen. Aus ihnen entstand eine neue Schicht der Gesellschaft, die Straßendirnen.«
    Die im Schlußsatz des Romans angekündigte Fortsetzung über diese neue, noch stärker entrechtete und entwurzelte Schicht der Straßendirnen konnte und mußte Kuprin nach dem Erscheinen des vollständigen Romans im Jahre 1915 (beziehungsweise in unzensurierter Form erst 1917) nicht mehr schreiben, denn mit dem Untergang der alten Gesellschaftsordnung in der sozialistischen Oktoberrevolution war auch dem bourgeoisen Phänomen der Prostitution der Nährboden entzogen: das Problem der Abschaffung der Prostitution, auf das Kuprin und sein Sprachrohr Platonow noch keine Antwort wußten, war für Rußland gelöst. Es gehört zur Tragik des persönlichen Lebensweges des großen kritisch-realistischen russischen Schriftstellers Kuprin, daß er sein Land in dem Augenblick verließ, als die Früchte seines literarischen Kampfes zu reifen begannen. Kornej Tschukowski hat nach dem Erscheinen des zweiten Teils des Romans diesen als ein »Buch des großen Zorns« bezeichnet, dessen Gestalten er unter einer riesigen Menschenmenge sofort wiedererkennen würde.
    Sicherlich hat die Zeit, hat die revolutionäre Entwicklung der Gesellschaft die historische Brisanz der Thematik und das uns zum Teil vielleicht altväterlich anmutende Ethos der einst zweifellos gewagt erscheinenden Darstellung längst überholt; und doch berührt der Roman, den der Sozialkritiker, Moralist und Realist Kuprin explizit den »Müttern und der Jugend« gewidmet hat, auch heute noch in der Aufrichtigkeit seines Wollens und vermittelt uns – was vielleicht noch wichtiger ist – einen unikalen Einblick in die geheimnisumwitterte Sittengeschichte des zaristischen Rußland und die doppelbödige Mentalität und Moral einer patriarchalischen feudal-bourgeoisen Klassenherrschaft, deren Unmenschlichkeit und Abschaffungswürdigkeit sich nirgends »nackter« offenbart als in der Prostitution.
    Margit Bräuer
     
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