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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm
Autoren: Ken MacLeod
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einatmen«, sagte Sonya. Sie band
eine Schleife. »Die werden Augen machen.«
    »Solange ich nicht tot umfalle… Hey, was ist
los?«
    Sonya schlug sich die Hand vor den Mund, ließ sie wieder
sinken.
    »Ach, Janis, du wirst mich umbringen. Ich hab’s
total vergessen. Du hast heute eine Komiteesitzung,
stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Ist mir grad’ eingefallen. Gestern Abend, in der
Disco. Da wurde gekämpft.«
    »In der Disco?«
    »Nein, ich meine, es gab einen Angriff. Auf
irgendein Labor. Wir hörten Schüsse, eine
Explosion…«
    »Oh, Scheiße!« Janis schloss eilig
den Gürtel, zog die Schuhe an. »Weißt du, auf
welches…?«
    Sonya schüttelte den Kopf. »Ich hab später
bloß was von ’nem Typen aufgeschnappt. Saß
allein an einem Tisch, trank und redete – irgendwas von
Scheißspinnern oder so, glaub ich.«
    »Oh.« Janis entspannte sich ein wenig. Sie
lächelte spöttisch. »Der Typ hat
Selbstgespräche geführt?«
    »Aber nein!« Sonya ärgerte sich offenbar
über die Unterstellung, sie habe einen Verrückten
belauscht. »Er hat mit seinem Gewehr geredet.«
     
    Die dumpfige Nachthitze hatte einem frischen, klaren
Herbstmorgen Platz gemacht. Janis radelte durch die Straßen
von Uxbridge, ganz gemächlich, damit sie nicht ins Schwitzen
kam. Ein AWACS-Flugzeug stieg von Nordholt auf, legte sich in die
Kurve und wandte sich nach Westen, Richtung Wales. Die High
Street wirkte unbehelligt von allen Problemen, eine
gemütliche Gegend mit Supermärkten, Weinstuben,
Drogenschuppen und Videoläden, dahinter die riesigen
verspiegelten Fassaden der Bürokomplexe. Um die Kurve und
die Hauptstraße entlang, vorbei an den Kasernen der RAF
(VORSICHT: MINEN), dann nach rechts in die Kingston Lane hinein.
Der übliche Morgenverkehr – ein paar Busse, alle
möglichen Firmenwagen, Milchtransporter, gepanzerte
Truppentransporter, an deren Antennen die Hannoveraner-Wimpel
wehten…
    Durchs Sicherheitstor, von Sensoren gescannt und gefilzt. Auf
dem Schild über den Geräten stand:
     
    BRUNEL UNIVERSITÄT UND WISSENSCHAFTSPARK
AG
ACHTUNG
HIER GILT REDEFREIHEIT
     
    Sie fuhr die Wege entlang und wich Schnecken aus, die sich
selbstmörderisch auf grüneres Gras stürzten. Auf
einer Wiese bewegte sich eine Gruppe von Studenten gebückt
umher, auf der Suche nach Magic Mushrooms. Ein paar davon
würde sie abbekommen. Janis lächelte und kam sich vor
wie eine Feudalherrin, die ihren Bauern zuschaute. Denen die
Studenten, die geduldig ihre Körbe füllten, in ihren
schwingenden Röcken, weiten Hosen und Kiepenhüten auch
ähnelten.
    Im Erdgeschoss klaffte in der Wand des Biologiegebäudes
ein drei Meter großes Loch wie eine Wunde.
    Janis stieg ab, schob das Rad automatisch zum Ständer.
Jetzt wurde ihr klar, dass sie eigentlich damit gerechnet hatte.
Sie schlug den Schleier über die Hutkrempe hoch. Die Treppe
hinauf: zwei Absätze, vierzig Stufen. Auf den Fliesen
knirschten Glassplitter.
    Die Tür war gewaltsam geöffnet worden; das Schloss
hing nur noch an Splittern. Ein schwarz-gelbes Plastikband warnte
vor dem Eintritt. Sie wich erschrocken zurück. Beim letzten
Mal, als sie vor eine solche Tür getreten war, hatten sich
dahinter zerschmetterte Terminals, leere Käfige und mit Kot
auf die Wände geschmierte Hassbotschaften aufgetan.
    Jemand hustete hinter ihr. Es war kein höfliches
Hüsteln, eher schon ein Hustenanfall. Sie zuckte zusammen,
dann, als zum Reflex die Vernunft hinzukam, drehte sie sich
langsam um. Ein Mann beugte sich vor, bemüht, wachsam zu
erscheinen, aber offenbar müde. Groß. Ein schmales
Gesicht. Dunkle Augen. Die Hautfarbe war entweder genetisch
bedingt oder rührte von einer Höhensonne her. Er trug
einen am Hals offenen dunkelgrauen Urbanotarnanzug, Turnschuhe
und einen Helm, den er sich auf sein langes, lockiges schwarzes
Haar gedrückt hatte; die Sichtöffnung verdeckte eine
Art Nachtsichtbrille, Strippen baumelten herab, vor dem Mund
hatte er ein Mikro. Er sah aus wie um die dreißig, erheblich älter als sie, aber das konnte auch am
Licht liegen. In der Rechten hielt er eine lange, mit viel
Elektronik aufgemotzte Waffe.
    »Wer sind Sie?«, fragte er. »Und was tun Sie
hier?«
    »Das wollte ich gerade Sie fragen. Ich
heiße Janis Taine, und das ist mein Labor. In das heute
Nacht offenbar eingebrochen wurde. Und jetzt…«
    Er legte den Zeigefinger an die Lippen und bedeutete ihr
zurückzutreten. Als sie sich zehn Schritte über
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