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Das Steinbett

Das Steinbett

Titel: Das Steinbett
Autoren: Kjell Eriksson
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ruhten auf der Theke. Sven-Erik Cederén sah zu ihm hinüber, und sie lächelten sich an.
    »Fehlt sie Ihnen?«
    »Natürlich.«
    »Ihnen fehlt noch etwas anderes«, sagte der Bäcker.
    »Sein Land fehlt einem immer«, meinte der alte Mann.
    Der Schwede schüttelte den Kopf.
    »Ihnen fehlt eine Frau.«
    »Schon möglich.«
    Was hatte er nur getan? Ließ es sich wieder in Ordnung bringen? Nein. Er konnte nur notdürftig flicken. Er war der Bekehrte, dessen Bekehrung zu spät kam. Fast vierzig Jahre lang war er im Gleichschritt marschiert. Jetzt tanzte er aus der Reihe. Er hatte Angst. Wenn er doch nur in diesem baufälligen Geschäft sitzen bleiben, Bier trinken und mit den Menschen reden könnte, die zufällig vorbeischauten. Der Bäcker und sein Laden würden ihm Absolution erteilen.
    Er hatte Angst, aber nicht um seine eigene Haut. Lügner!
    Natürlich hatte er Angst vor dem Urteil. Er floh in einen Schuppen voller Bier, Pringles und Kaugummi.
    Er erzählte weiter von seinem Land. Was hätte er sonst sagen sollen? Was wußte er eigentlich über Schweden? Hätte er von seinem Leben in Uppsala-Näs erzählen sollen, dem Golfplatz Edenhof, von den Arbeitskollegen, den Vorträgen beim Arbeitgeberverband, den rundum gekachelten Badezimmern und dem Bootsanleger, der für hunderttausend Kronen erneuert worden war?
    Während er sprach, schaute er verstohlen zu der Frau hinüber. Sie war zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Ihr Arm lag unmittelbar neben seinem. Er könnte … Mit dem Bündel Geldscheine, das steif in seiner Tasche steckte. Mit dem Schwanz, der in seiner Hose steif wurde.
    Er trank noch einen Schluck Bier. Der Bäcker sah ihn an und nickte ihm zu.

1
    »Komm auf die Straße! Du machst dir sonst die Schuhe schmutzig.«
    Das Mädchen riß noch einen Blumenstengel ab und reichte ihrer Mutter eine Handvoll Kleeblumen.
    »Vierblättrige bringen Glück«, sagte das Kind.
    »Wir setzen sie aufs Grab.«
    Die Frau ordnete die Blumen und zupfte ein welkes Blatt ab.
    »Großmutter mochte Klee«, sagte sie nachdenklich, sah zur Kirche hinüber und dann ihre Tochter an, die neben ihr ging. Ein Tag, dachte sie, ein einziger gemeinsamer Tag auf der Welt war euch beiden vergönnt.
    Vor sechs Jahren und einem Tag war Emily geboren worden, und am nächsten Tag starb ihre Großmutter. An jedem Todestag spazierten sie nun zur Kirche und legten Blumen auf das Grab. Anschließend setzten sie sich stets noch ein wenig auf die Friedhofsmauer. Die Frau trank Kaffee und ihre Tochter Saft.
    Bis zum Friedhof war es eine halbe Stunde zu Fuß. Sie hätten das Auto nehmen können, zogen es aber vor zu gehen. Wenn man sich dem Friedhof langsam nähert, hat man Zeit zum Nachdenken. Sie hatte ihre Mutter über alles in der Welt geliebt, und es kam ihr so vor, als hätte Emily die Großmutter abgelöst. Eine Liebe hörte auf, eine andere begann.
    Gleich nach der Entbindung war sie zusammen mit dem Baby durch die Gänge der Universitätsklinik zu der Station geschoben worden, auf der die Großmutter lag und zwischen Wachsein und Schlaf schwebte.
    Man hatte das kleine Mädchen auf die Brust der Großmutter hinübergehoben. Anfangs schien es fast, als würde sie glauben, ihrem geplagten Körper wäre eine weitere Bürde auferlegt worden.
    Die junge Mutter vermutete, daß die Großmutter durch den Duft des Babys zum Leben erweckt wurde, denn plötzlich weiteten sich ihre Nasenlöcher. Eine magere und von Nadeln zerstochene Hand betastete das kleine Bündel auf der Brust, und sie schlug die vom Morphium dunklen Augen auf.
     
    »Ich will das letzte Stück rennen«, sagte das Mädchen.
    »Nein, wir gehen zusammen«, antwortete die Frau: und kurz bevor sie starb, wurde ihr noch klar, daß das Leben der Tochter vielleicht gerettet worden wäre, wenn sie das Mädchen hätte rennen lassen.
     
    Das Auto traf die beiden mit voller Wucht. Das Kind wurde zehn Meter durch die Luft geschleudert und war auf der Stelle tot. Seine Mutter wurde umgerissen, und das linke Vorderrad des Wagens überrollte ihren Körper. Sie lebte noch lange genug, um zu begreifen, was geschehen war. Sie nahm auch noch wahr, wie das Auto etwas ins Schleudern geriet, als der Fahrer Gas gab und Richtung Kirche verschwand.
     
    »Warum tötest du uns«, murmelte sie.

2
    Ann Lindell genoß die Heiterkeit ihres Kollegen. Sammy Nilsson hatte mit todernster Miene ihr Horoskop für diesen Tag vorgelesen, aber als er zur letzten Zeile kam, »… und warum nicht einer Einladung zur
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