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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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hatte ein paarmal kurz zu ihm hingesehen. So wild er getrunken hatte, so still und unverwandt sah er jetzt auf die Wiesen. Die letzten Gäste verzogen sich aus dem Garten in die Stube. Der Himmel war rot; ein feiner, aber durchdringender Wind bewegte selbst die Weinblätter an der inneren Mauer.
     
    Er hat mir hoffentlich das Geld auf den Tisch gelegt, dachte die Kellnerin. Sie ging hinaus, um nachzusehen. Da saß er noch immer, wie er gesessen hatte. Sie fragte: »Wollen Sie denn Ihren Most nicht im Saal?«
     
    Er sah sie zum erstenmal an. Eine junge Frau in einem dunklen Kleid. Ihr Gesicht, für den Augenblick lebhaft, war vom Sonntag müde. Ihre Brust war kräftig, ihr Hals zart. Sie kam ihm bekannt, fast vertraut vor. An welche Frau gemahnte sie ihn aus verflossenen Jahren? Oder nur an einen Wunsch? Ein ganz besonderer, unstillbarer Wunsch hätte das kaum sein können. Er antwortete ihr: »Bringen Sie meinen Most ruhig heraus.«
     
    Er setzte sich schräg, da der Garten leer war. Er wartete, bis sie mit seinem Glas zurückkam. Er hatte sich nicht getäuscht, sie gefiel ihm; soweit ihm in dieser Stunde etwas gefallen konnte. »Ruhen Sie sich aus.« – »Ach was, ich hab das Zimmer voll Gäste.« Sie stützte aber ein Knie auf den Stuhl und einen Arm auf die Lehne. Ein kleines Kreuz aus Granatsteinen hielt ihren Kragen zusammen. Sie fragte: »Sind Sie hier in Arbeit?« – »Ich bin auf einem Kahn.« Sie sah ihn leicht und scharf an. »Sind Sie hier aus der Gegend?« – »Nein, ich hab hier nur Verwandte.« – »Sie sprechen auch beinahe wie wir.« – »Die Männer aus meiner Familie holen sich immer aus dieser Gegend die Frauen.« Sie lächelte, ohne daß sich ein Anflug von Trauer aus ihrem Gesicht verlor. Er sah sie an, und sie ließ sich ansehen.
     
    Ein Auto hielt auf der Straße; ein ganzer Schwärm von SS stieg durch den Garten in die Stube. Sie hatte kaum aufgesehen; ihr gesenkter Blick fiel auf Georgs Hand, der die Stuhllehne packte. »Was haben Sie da an der Hand?« – »Ein Unfall – schlecht geheilt.« Sie nahm seine Hand so rasch auf, daß er sie nicht mehr zurückziehen konnte, und betrachtete sie genau. »Da haben Sie wohl in Scherben gegriffen – das kann Ihnen noch mal aufspringen.« Sie gab ihm seine Hand zurück. »Ich muß jetzt drin bedienen.« – »So feine Gäste läßt man nicht warten.« Sie zuckte mit den Achseln. »Es ist nicht so schlimm, wir sind hierzulande abgebrüht.« – »Wogegen?« – »Gegen Uniformen.« – Sie ging hinein, und er rief ihr nach: »Noch ein Glas!«
     
    Es war jetzt schon kühl und grau. Sie soll zurückkommen, dachte Georg.
     
    Sie nahm die Bestellungen auf. Sie dachte dabei: Was ist denn der da draußen für einer? Was hat denn der auf dem Kerbholz? Denn etwas hat er. Sie machte ihre Bedienung fertig mit stolzer, geschickter Heiterkeit. – Auf einem Kahn ist er sicher noch nicht lang. Er ist kein Lügner, aber er lügt. Er hat Angst, aber er ist nicht ängstlich. Wo hat er denn das mit der Hand her? Er ist erschrocken, wie ich die Hand nahm, und doch hat er mich angesehen. – Er hat sich die Finger eingedrückt, wie der Schwarm über den Garten kam. Hat es damit etwas zu tun?
     
    Sie füllte schließlich sein Glas. An ihm war nichts richtig, aber sein Blick war richtig. Sie ging hinaus, um sich ansehen zu lassen.
     
    Er saß da im kalten Abend und hatte sein zweites Glas noch nicht angerührt. »Was tun sie denn da mit dem dritten Glas?«
     
    »Das macht nichts«, sagte er. Er schob die Gläser zusammen. Er nahm ihre Hand. Sie trug bloß einen dünnen Ring mit einem Glückskäfer, wie man ihn in Jahrmarktsbuden gewinnt. Er sagte: »Kein Mann? – Kein Bräutigam? – Kein Liebster? …« Sie schüttelte dreimal den Kopf. »Kein Glück gehabt? Schlecht ausgegangen?« – Sie sah ihn verwundert an. »Warum denn?« – »Nun, weil Sie allein sind.« Sie schlug mit der Hand leicht auf ihr Herz: »Ach, der Ausgang ist hier.« Sie lief plötzlich weg. Er rief sie noch vor der Tür an den Tisch zurück. Er gab ihr einen Geldschein zum Wechseln. Sie dachte: Daran hängt’s also auch nicht. Und wie sie zum viertenmal aus dem Haus kam in den dunklen Garten mit ihrem Geldteller, und der Kiesel knirschte, da nahm er sich ein Herz.
     
    »Gibt’s hier im Haus ein Gastzimmer? Dann braucht ich nicht noch mal nach Mainz hinüber.« – »Hier im Haus, was denken Sie ? Hier wohnen nur die Wirtsleute.« – » Und da, wo Sie wohnen?« Sie zog ihre Hand
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