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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Anastasia: »Das hast du bei uns gelernt, Auguste, die geriebene Nuß auf den Apfelkuchen.«
     
    »Ich schnapp jetzt mal Luft«, sagt Hermann. Franz begleitet ihn in den Garten. Über der Ebene verfärbt sich der Himmel, und die Vögel fliegen tiefer. »Morgen ist’s mit dem schönen Wetter vorbei«, sagt Franz, »ach, Hermann –« – »Was für ein Ach?« – »Gestern und heute war nichts im Radio, nichts von der Flucht, kein Steckbrief mehr, nichts von dem Georg.« – »Franz, hör auf, über diese Geschichte nachzugrübeln, es ist besser für dich, besser für alle, sie nimmt viel zuviel Raum in deinem Kopf ein, alles, was man für deinen Georg tun konnte, ist schon getan worden.«
     
    Einen Augenblick belebte sich Franz’ Gesicht, so daß man begreifen konnte, dieser Mensch war gar nicht langsam und schläfrig, sondern fähig, alles mögliche zu tun und zu fühlen. Er rief: »Ist er denn gerettet?« – »Noch nicht …«
     
     
     

4
     
    Hermann brach kurz danach auf, denn er hatte Nachtschicht. Else ließ er zurück bei Marnets Apfelkuchen. Franz begleitete ihn ein Stück. Da er keine Verabredung für den Sonntag hatte, wollte er wieder zurück ins Haus. Aber jetzt hatte er keine Lust mehr nach dem Geschwätz in der Küche, und er hatte auch keine Lust, in seiner Kammer allein zu sitzen. Plötzlich fühlte sich Franz so verlassen, wie man sich nur sonntags verlassen fühlen kann. Er war unglücklich, schwerfällig, mürrisch. Sollte er denn allein in den Wäldern herumsteigen? Liebespärchen aufscheuchen in den Lichtungen, im warmen, trocknen Herbstlaub? Wenn er schon sonntags allein war, dann war er’s lieber in der Stadt. Er ging weiter nach Höchst zu.
     
    Er war eigentümlich müde, obwohl er sich ausgeschlafen hatte. Die Woche harter Arbeit steckte ihm in den Knochen. Hermann hatte ihm zwar noch einmal eingeprägt, seine Finger von Georgs Sache zu lassen, was man für Georg tun könnte, sei getan. Aber man kann die Gedanken nicht plötzlich abstellen.
     
    Franz setzte sich in den ersten besten Wirtsgarten. Es war ziemlich leer, die Wirtin kehrte die welken Blätter vom Tischtuch und fragte ihn, ob er Apfelwein wollte. – Der Apfelwein war nicht richtig süß, sondern hatte zu Franz’ Verdruß einen leichten Stich. Da hätte er besser echten Rauscher bestellt. Ein kleines Mädchen lief in den Garten und raschelte in dem Laub herum, das man gegen den Zaun zusammengekehrt hatte; dann lief es zu Franz herüber und zupfte an seinem Tischtuch. Sein Gesicht war in ein Häubchen gebunden, seine Augen waren fast schwarz.
     
    Aus der Tür kam die Mutter nach, zottelte an dem Kind herum und schimpfte. Ihre rauhe, wie angebrochene Stimme kam Franz bekannt vor; ihre Gestalt war jung und mager, doch ihr Gesicht war etwas verkniffen, durch ein schiefgesetztes Mützchen und eine große, über die halbe Gesichtshälfte gekämmte Locke. Franz sagte von dem Kind: »Das ist ja nicht schlimm.« Sie sah ihn rasch an, mit ihrem unbedeckten Auge, ein wenig starr. Franz sagte: »Wir haben uns doch schon mal gesehen.« Wie sie den Kopf rasch gedreht hatte, war ein Winkel ihres linken, wohl durch einen Betriebsunfall verschandelten Auges frei geworden. Sie erwiderte spöttisch: »O ja, wir haben uns schon wo gesehen, das kann man behaupten.« – Gesehen, ja, öfters, dachte Franz, aber wo hab ich ihre Stimme gehört? »Ich hab Sie neulich mit meinem Rad angerempelt.« – »Das auch«, erwiderte sie trocken; das Kind, das sie eisern festhielt, verdrehte ihr beinah den Arm. »Wir kennen uns aber auch noch von woanders her, von viel früher.« – Sie sah ihm immer noch ins Gesicht, dann platzte sie heraus: »Franz.« Er zog die Brauen hoch, sein Herz machte zwei Schläge, eine leise, gewohnheitsmäßige Warnung. Sie ließ ihm ein wenig Zeit. – »Von der Ruderpartie, von den Inselchen auf der Nidda, wo das Fichtelager war, wo du selbst –« – »‘ne Nuß!« rief das Kind, das um die Tischbeine rumfummelte. »Na, knack sie unter dem Absatz«, sagte die Frau, ohne den Blick von Franz abzuziehen. Ihn aber ergriff eine Kälte, eine Art von Beklemmung, über die er sich selbst nicht im klaren war, er betrachtete sie grübelnd. Sie beugte sich plötzlich vor und sagte ihm ins Gesicht in heller Verzweiflung: »Ich war doch die Lotte!« Er wollte rufen: Unmöglich! Er verschluckte das noch rechtzeitig.
     
    Sie mußte aber erraten, was in ihm vorging. Sie sah ihm mitten ins Gesicht, als warte sie auf ein Zeichen von
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