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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Fluchttag, der morgen wiederkehrte. Aber die Häftlinge horchten auf den Gesang betrunkener Bauern, weit weg von den Dörfern.
     
    Da ging ein Ruck durch jeden einzelnen und ein Ruck durch die Kolonne. Was hatte Fahrenberg eben gesagt? Wenn man den Heisler auch gefangen hatte, dann war’s aus.
     
    »Aus«, sagte einer auf dem Rückweg; das war die einzige Silbe, die überhaupt verlautet war.
     
    Doch eine Stunde später in der Baracke sagte einer zum andern ohne den Mund zu bewegen, weil das Sprechen verboten war: »Glaubst du, sie haben ihn wirklich?« und der andere erwiderte: »Nein, das glaub ich nicht.« Und der eine war der Schenk, bei dem Röder umsonst gewesen war, und der andere war der Neuankömmling von den Arbeitern aus Rüsselsheim, den man gleich in den Bunker gesteckt hatte. Einer sagte noch zum andern: »Hast du ihre betretenen Gesichter gesehn? Hast du gesehen, wie sie sich zuzwinkerten? Und der Alte ist mit der Stimme nicht hochgekommen.«
     
    Nein, das war diesmal nicht echt. Nein, sie haben ihn nicht.
     
    Nur die Nächsten konnten verstehen, was die beiden sagten. Doch vom Nächsten zum Übernächsten breitete sich in der Baracke im Lauf des Abends der Sinn der Worte aus.
     
     
     
    Bunsen war auf Urlaub gefahren, und er hatte zwei jüngere Freunde mitgenommen, hübsche, witzige Burschen, wenn auch nicht ganz so strahlend wie er, aber aus diesen Gründen zu einer Gefolgschaft geeignet.
     
    Wahrend Fahrenberg seine Ansprache hielt, fuhren sie vor den Rheinischen Hof in Wiesbaden. Seine beiden Kumpane im Rücken, ging Bunsen, alles rasch überblickend, in die Tanzdiele, die noch nicht sehr dicht besetzt war. Die Musik spielte einen der alten gezogenen Walzer, die die Jazzmusik abgelöst hatten. Auf der hellen Tanzfläche gab es im Augenblick kein Dutzend Paare: alle Bewegungen hatten die Weite, sich auszuschwingen, und die langen weißen und farbigen Kleider der Frauen machten jede Bewegung noch weicher, noch ausgeschwungener. Da die meisten Männer Uniform trugen, hatte das alles fast den Anstrich einer Siegesfeier oder eines der Feste, die man bei einem Friedensschluß gibt.
     
    Bunsen hatte an einem der Tische dicht bei der Tanzfläche seinen Schwiegervater entdeckt und ihm zugenickt. Dieser Schwiegervater war Reisender für Henkell, Champagnerkonsul, wie er sich nannte, und wie er hinzufügte, ein Kollege von Botschafter Ribbentrop, der aus dem gleichen Fach hervorgegangen war. Bunsen entdeckte jetzt auch seine Braut unter den tanzenden Paaren. In einem Anfall von doppelter Eifersucht kam es ihm vor, sie tanze mit einem Fremden, bis er in dem mageren, neugebackenen Leutnant ihren Vetter erkannte. Als der Tanz fertig war, kam die Braut, neunzehnjährig, blaßbraun, sanft, mit frechen Augen, und sie fühlten beide und freuten sich, daß sie von aller Welt bestaunt wurden. Bunsen brachte seine beiden Kumpane, Tische wurden zusammengerückt, eilig zerschlug der kleine Kellner das Eis mit seinem kurzen Hämmerchen. Hanni, die Braut, erklärte, das sei ihr Abschiedsfest, morgen begänne der Sechswochenkurs auf der SS-Bräuteschule. Nichts sei wichtiger, meinte Bunsen, ob sie beabsichtige, ihren Mitbräuten Nachhilfestunden zu geben. Hannis Vater sah ihn scharf an, dann fast ebenso scharf jeden der beiden Kumpane. Er war ein witziger, schlauer Witwer. Er war nicht allzu begeistert gewesen von dem schönen Burschen, in den sich seine Tochter verliebt hatte. Auch erschien ihm Bunsens Kommando in Westhofen ein etwas ausgefallener Posten für einen Schwiegersohn. Aber er hatte Erkundigungen über Bunsens Eltern einholen lassen, und die Eltern waren gewöhnliche Eltern: kleine Beamte in der Pfalz, ganz brave Menschen. Daß sie gerade diesen ausgefallenen Knaben geboren hatten, dachte der Witwer bei dem langweiligen Anstandsbesuch in dem miefigen Pfälzer Wohnzimmer, das war der Genius der Rasse.
     
    Inzwischen war es voll geworden. Die Walzer wechselten mit Rheinländer und sogar mit Polka. Bunsens Schwiegervater, überhaupt alle älteren Menschen im Saal lächelten, wenn eine Melodie gespielt wurde, die ihnen von früher her bekannt war, bei der Erinnerung an die Vorkriegsspäße. Soviel echte Festlichkeit, ungetrübte lockere Heiterkeit hatte man lange nicht an diesem Ort erlebt. Eine solche Entspannung findet man an allen ähnlichen Orten, in allen Städten der Welt, wenn diejenigen feiern, die einer großen Gefahr entronnen sind oder entronnen zu sein glauben. Heute abend gibt es hier keine
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