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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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rasch zurück und sah ihn fast finster an, so daß er auf eine große Antwort gefaßt war. Nach kurzem Schweigen sagte sie einfach: »Ja. Gut«, und sie fügte hinzu: »Warten Sie hier auf mich. Ich hab noch drin zu tun. Dann kommen Sie hinter mir her.«
     
    Er wartete. Seine Hoffnung, die Flucht könnte schließlich doch noch gelingen, vermischte sich mit freudiger Bangigkeit. Doch schließlich kam sie in einem Mantel heraus, ohne sich nach ihm umzusehen. Er folgte ihr durch eine lange Straße – es hatte zu regnen begonnen.
     
    Er dachte halb betäubt: Ihr Haar wird naß.
     
     
     
    Ein paar Stunden später fuhr er hoch. Er wußte nicht, wo er war. »Ich habe dich aufgeweckt«, sagte sie, »ich hab dich ja aufwecken müssen. Ich hab das ja nicht mehr mit anhören können. Meine Tante wird ja auch wach.«
     
    »Hab ich denn geschrien?« – »Du hast gestöhnt und geschrien. Schlaf und sei ruhig.« – »Wie spät ist’s?« – Sie hatte kein Auge zugetan. Sie hatte seit Mitternacht alle Stunden voll ausschlagen hören, so daß sie antworten konnte: »Bald vier. –  Schlaf ruhig. Du kannst ganz ruhig schlafen. Ich werde dich wecken.« Sie wußte nicht, ob er weiterschlief oder nur stillag. Sie wartete, ob denn das Zittern wiederkäme, das ihn im ersten Schlaf überfallen hatte. Nein, der Mann atmete ruhig.
     
     
     
    Der Lagerkommandant Fahrenberg hatte in der Nacht wie in allen vorhergehenden den Befehl gegeben, ihn aufzuwecken, sobald eine Meldung über den Flüchtling einging. Der Befehl war nutzlos, denn Fahrenberg schlief auch in dieser Nacht keinen Augenblick. Er horchte wieder auf jedes Geräusch, das im Zusammenhang stehen konnte mit der Nachricht, die er erwartete. Und wenn ihn die letzten Nächte durch ihre Stille gemartert hatten, die Nacht auf Montag marterte ihn durch kurz aufeinanderfolgendes Hupen, durch Hundegebell, durch das Gejohl betrunkener Bauern.
     
    Doch schließlich ließ alles nach. Das Land versank in den zähen Schlaf zwischen Mitternacht und Dämmerung. Er versuchte sich dieses Land vorzustellen, ohne daß er zu horchen aufhörte, all diese Dörfer, die Straßen und Wege, die sie untereinander verbanden und mit den drei großen Städten, ein dreieckiges Netz, in dem sich der Mann hätte fangen müssen, wenn er nicht der Teufel selbst war. Er konnte sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben. Irgendwelche Spuren mußte er doch hinterlassen haben mit seinen Schuhen auf der feuchten Herbsterde, irgend jemand mußte ihm diese Schuhe besorgt haben. Irgendeine Hand mußte ihm Brot abgeschnitten, mußte ein Glas vollgeschenkt haben. Irgendein Haus mußte ihn beherbergt haben. Fahrenberg dachte zum erstenmal klar an die Möglichkeit, Heisler könnte entkommen sein. Diese Möglichkeit war doch unmöglich. Hatte man nicht erzählt, daß ihn seine Freunde verleugneten, daß seine eigene Frau längst einen Liebsten hatte, daß sich sein eigener Bruder an der Fahndung beteiligte? Fahrenberg atmete auf. Wahrscheinlich war das die Lösung, daß er gar nicht mehr lebte. Hat sich wohl in den Rhein gestürzt oder in den Main, morgen wird er gelandet. Plötzlich sah er den Heisler vor sich nach dem letzten Verhör mit seinem eingerissenen Mund, mit seinen frechen Augen. Fahrenberg wußte auf einmal genau, daß seine Hoffnung fehlschlug. Kein Rhein und kein Main würden je seine Leiche landen, denn dieser Mann war lebendig geblieben, und er würde lebendig bleiben. Fahrenberg fühlte zum erstenmal seit der Flucht, daß er nicht hinter einem einzelnen her war, dessen Züge er kannte, dessen Kraft erschöpfbar war, sondern einer gesichtslosen, unabschätzbaren Macht. Aber er konnte diesen Gedanken nur minutenlang ertragen.
     
     
     
    »Jetzt mußt du gehen.« Sie half Georg beim Anziehen und reichte ihm Stück für Stück, wie die Soldatenfrauen, wenn die letzte Urlaubsnacht aus ist.
     
    Mit ihr hätte ich alles teilen können, dachte Georg, mein ganzes Leben, aber ich hab ja kein Leben zu teilen.
     
    »Trink noch rasch was.« Er sah im Frühlicht, was er sofort verlassen sollte. Sie fror. Der Regen schlug ans Fenster. Das Wetter war über Nacht umgeschlagen. Aus dem Schrank kam ein leiser Kampfergeruch, als sie etwas herauszog, häßliches, dunkelwolliges Zeug. Was ich dir alles Schönes gekauft hätte, rot und blau und weiß.
     
    Sie sah im Stehen zu, wie er Kaffee trank. Er war ganz ruhig. Sie ging voraus, schloß die Haustür auf und ging wieder hinauf. In der Küche und auf der
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