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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Störenfriede, keine Spielverderber. Dafür ist gesorgt worden. Auf dem Rhein schwimmt eine ganze Flottille »Kraft durch Freude«-Schiffchen; jedem hat die Firma von Hannis Vater einen Stapel Henkell Trocken gestiftet. – An den Saaltüren gibt es keine schiefmäuligen Zuschauer; höchstens den kleinen Kellner, der mit undurchsichtigem Gesicht mit seinem kurzen Hämmerchen das Eis zerhackt.
     
    Unter den parkenden Autos in derselben Stadt vor dem Kurhaus hatten die Kreß’ ihren Opel abgestellt. Sie hatten den Georg in Kostheim abgesetzt. Denn er mußte sich für die Nacht ein Schifferquartier suchen, da er mit seinen Papieren schlecht in das blaue Wägelchen paßte. In der letzten halben Stunde war Kreß ebenso schweigsam gewesen wie auf der ersten Fahrt in die Riederwaldsiedlung, als ob der Gast, der langsam Gestalt angenommen hatte, sich wieder verflüchtigte, so daß es zwecklos sei, ihn noch anzusprechen. Abschied hatte es keinen gegeben. Nachher waren die beiden Kreß’ auch stumm geblieben. Ohne sich gegenseitig zu fragen, waren sie bald hier angefahren, denn sie hatten jetzt Lust auf Licht und Menschen. Sie setzten sich in einen Winkel der kleinen Halle, weil sie etwas abstachen in ihren verstaubten Ausflüglerkleidern. Sie betrachteten, was es zu sehen gab. Schließlich brach die Frau das Schweigen, das fast schon eine Stunde dauerte. »Hat er zuletzt noch etwas gesagt?« – »Nein. Nur: danke!« – »Es ist merkwürdig«, sagte die Frau, »mir ist es zumut, als ob ich mich bei ihm bedanken sollte, was auch noch aus dieser Geschichte für uns alle entstehen mag - daß er bei uns war, daß er uns diesen Besuch gemacht hat.« – »Ja, ich auch«, sagte der Mann rasch. Sie betrachteten einander verwundert in einem neuen, ihnen noch unbekannten Einverständnis.
     
     
     

6
     
    Nachdem ihn die Kreß’ vor einer Wirtschaft abgesetzt hatten, ging Georg nach kurzem Nachdenken, statt in die Tür hinein, zum Main hinunter. Er schlenderte über die Au unter vielen Leuten, die den Sonntag genossen und die Herbstsonne, von der sie sagten, daß sie bereits einen Stich hätte wie der Apfelwein und nicht mehr lange vorhalten würde. Georg kam an einer Brücke vorbei, an der ein Posten stand. Die Au erweiterte sich, er war an der Mainmündung angekommen, viel eher als er gedacht hatte. Der Rhein lag vor ihm und dahinter die Stadt, durch die er vor ein paar Tagen gelaufen war. Ihre Straßen und Plätze, auf denen er Blut geschwitzt hatte, waren zusammengeschmolzen zu einer grauen Festung, die sich im Wasser spiegelte. Ein Schwärm von Vögeln, ein spitzes, schwarzes Dreieck, war in den rötlichen Nachmittagshimmel geritzt, zwischen den höchsten Türmen, wie bei den Städten auf Wappenschildern. Als Georg ein paar Schritte weiterging, erblickte er zwischen zwei dieser Türme auf dem Domdach den heiligen Martin, der sich vom Pferd bückte, um seinen Mantel mit dem Bettler zu teilen, der ihm im Traum erscheinen wird: ich bin der, den du verfolgst.
     
    Georg, hätte gleich weitergehen können über die nächste Brücke in eines der Schifferquartiere und sich ein Zimmer mieten. Selbst wenn eine Razzia käme, sein Paß war ja gut. Doch er fürchtete, in Fragen verwickelt zu werden. Ihm war’s lieber, er könne die Nacht auf dem rechten Ufer verbringen und morgen sofort aufs Schiff gehen.
     
    Er beschloß, alles noch einmal zu erwägen. Es war ja noch Tag. Er machte kehrt und schlenderte auf den Wiesen am Main herum. Ein kleiner Ort, Kostheim, sah auf den Fluß mit seinen Nuß- und Kastanienbäumen. Das nächste Wirtshaus hatte ein Schild »Zum Engel«, über das ein Kranz brauner Blätter hing, zum Zeichen, daß es hier Most gab.
     
    Er ging hinauf und setzte sich in den winzigen Garten – der beste Ort, um einfach zu sitzen und aufs Wasser zu sehen und alles sich selbst zu überlassen. Er mußte sich entscheiden.
     
    Er setzte sich dicht an die Mauer mit dem Rücken zum Garten. Die Kellnerin stellte Most vor ihn hin. Er sagte: »Ich hab ja noch nichts bestellt.« Sie hob sein Glas wieder auf und sagte: »Mein Gott, was haben Sie denn für Bestellungen.« Er dachte nach: »Most«, sagte er. Sie lachten beide. Sie gab ihm das Glas gleich in die Hand, ohne es vorher abzustellen. Er nahm einen Schluck, der ihm solche Gier machte, daß er das ganze Glas leer trank. »Noch ein Glas.« – »Nun warten Sie erst mal einen Augenblick.« Sie ging zu den Gästen am nächsten Tisch.
     
    Eine halbe Stunde verging. Sie
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