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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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als er allein war, aber er kann eine Ungeschicklichkeit begehen. Er weiß nicht, wie man antwortet, er weiß nicht, wie man sich verhält. Ihm darf man nichts nachtragen. Wenn man schwach ist von Schlägen und krank vor Schlaflosigkeit, dann verläßt einen der Witz. Dann wird der Schlauste stumpf und blöd, und den Paul hat man sicher jeden Tag mit diesem Fiedler zusammen gesehen. Ein kurzer Weg für die Gestapo. Aber man kann dem Paul nichts vorwerfen. Georg fragte sich abermals, ob er nicht besser täte, dieses Haus zu verlassen. Selbst im günstigsten Fall – selbst wenn Paul schwieg – aber wenn Fiedler, von Furcht ergriffen, gleichfalls schwieg? Was Georg im Hof bei der Grabber gefürchtet hatte, hier war es eher möglich. Man ließ ihn am Ort. Er blieb unauffindbar. Kreß war bestimmt nicht der Mann, ihm weiterzuhelfen. War es nicht besser,
    heute zu gehen als Tage zu warten?
     
    Weil ihm jeder abgeschlossene Raum zuwider war, war er ans Fenster getreten. Er sah auf die weiße Straße, die die Siedlung durchschnitt. Hinter der Siedlung, die einem allzu reinlichen Dorf glich, sah man Parks oder Wälder. Georg überwältigte ein Gefühl vollkommener Heimatlosigkeit und sofort, fast in einem, ein Gefühl von Stolz. Wer außer ihm könnte je mit denselben Augen den weiten stahlblauen Herbsthimmel ansehen, diese Straße, die nur für ihn in die vollkommene Wildnis führte? Er betrachtete sich die Leute, die da unten vorbeikamen, Leute in Sonntagskleidern, mit Kindern und alten Müttern und wunderlichen Gepäckstücken: einen Motorradfahrer, die Braut im Beisitz, zwei Pimpfe, einen Mann mit einem Faltbootsack, einen SA-Mann mit einem Kind an der Hand, eine junge Frau mit einem Asternstrauß.
     
    Gleich darauf schellte es an der Haustür. Laß, hier wird es wohl öfters schellen, sagte sich Georg. Haus und Straße blieben ruhig. Kreß kam herauf. »Kommen Sie einen Augenblick auf die Treppe.« Georg betrachtete mit zusammengezogenen Brauen die junge Frau mit dem Asternstrauß, die plötzlich in Kreß’ Haus drei Stufen unter ihm stand. »Ich soll dir da was bringen«, sagte sie, »außerdem soll ich dir sagen: du mußt morgen um halb sechs an der Anlegestelle in Mainz sein an der Kasteier Brücke, das Schiff heißt Wilhelmine, du wirst erwartet.« – »Ja«, sagte Georg. Er rührte sich nicht von der Stelle. Die Frau knöpfte, ohne den Strauß loszulassen, ihre Jackentasche auf. Sie reichte ihm einen dicken Umschlag, wobei sie feststellte: »Ich habe dir also diesen Umschlag übergeben.«
     
    Ihrem Gehaben war zu entnehmen, daß sie ihn wohl für einen Genossen hielt, der sich verstecken mußte, aber nicht wußte, wer er war. Georg sagte: »In Ordnung.«
     
     
     
    Liesel hatte gerade einen Malzkaffee für die Kinder gemahlen, so daß sie nicht einmal hörte, wie man die Flurtür aufschloß. Paul hatte in der Hand eine Tüte Brötchen, die er im Heimgehen gekauft hatte. Er sagte: »Liesel, wasch dein Gesicht mit Essigwasser, zieh dich um, dann kommen wir immer noch rechtzeitig auf den Sportplatz, ei, Liesel, was gibt es denn jetzt noch zu flennen?«
     
    Er faßte ihr Haar, da sie den Kopf auf den Tisch gelegt hatte. »Ach, hör jetzt auf, jetzt ist’s genug. Hab ich dir nicht versprochen, wiederzukommen?«
     
    »Lieber Gott!« sagte die Liesel. – »Der hat damit gar nichts zu tun, oder nur so viel, wie er mit allem etwas zu tun hat. Mit der Gestapo hat er sicher nicht extra zu tun. Alles war so, wie ich’s mir vorgestellt habe. Ein Riesen-Hokuspokus. Stundenlang hat man mich ausgequetscht auf Herz und Nieren. Bloß das hab ich mir nicht träumen lassen, daß man dabeisitzt und auch noch aufschreibt, was ich ihnen vorquatsche, und ich hab nachher noch meinen Namen daruntersetzen müssen, daß ich das alles wirklich selbst gequatscht habe. Wann ich den Georg gekannt habe, wo, wie lang, warum, wer seine Freunde waren, wer meine Freunde waren. Und sie haben mich auch gefragt, wer vorgestern bei mir zu Gast war. Dabei haben sie mich mit allem bedroht, womit man einem drohen kann. Bloß das höllische Feuer hat gefehlt. Aber sonst haben sie durchaus gewollt, daß ich sie mit dem Jüngsten Gericht verwechsle. Aber sie sind keine Spur von allwissend. Sie wissen, was man ihnen sagt.«
     
    Später, als Liesel sich schon ein bißchen getröstet, schon ihre Kinder und sich selbst für den Sonntag umgekleidet hatte, ihr Gesicht mit Essigwasser gewaschen, da fing Paul noch mal an: »Nur eins wundert mich, daß die
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