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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Leute so sehr viel sagen. Und warum? Weil sie denken, die wissen ja doch alles. Ich aber hab mir gesagt: Niemand kann mir das wirklich nachweisen, daß der Georg wirklich bei mir war. Selbst wenn ihn einer gesehen hat, ich kann es ableugnen. Niemand hat den Beweis, daß er’s war, nur er selbst. Nun, und wenn sie ihn haben, dann allerdings ist sowieso alles aus. Wenn sie ihn hätten, würden sie mich aber nicht soviel fragen.«
     
    Zwanzig Minuten später gingen sie in die Stadt hinein. Sie machten einen Umweg, um die ältesten Kinder über den Nachmittag in der Familie unterzubringen. Das kleinste hatte die Hauswartsfrau übernommen, diese Vereinbarung war freilich schon ein paar Tage alt. Paul hatte die Frau zwar stark im Verdacht, eine Meldung in seiner Sache erstattet zu haben, aber sonst war sie ganz gefällig und kinderlieb.
     
    Plötzlich hieß Paul die Liesel mit ihren Kindern warten. Ihm war es heiß geworden. Er entschloß sich und ging durch die Torfahrt. Das kleine Fenster in der Garage war wie immer erleuchtet, obwohl es im Hof taghell war, Paul lief schnell vor das Fenster, um seine Familie nicht warten zu lassen und die unangenehme Aufgabe loszuwerden. Er rief: »Tante Katharina!« Als sich der Kopf der Grabber zeigte, erzählte Paul rasch hintereinander: »Mein Schwager läßt sich entschuldigen. Man hat ihm eine Zustellung nachgeschickt von der Polizei in Offenbach. Er hat noch mal heim gemußt, fraglich, ob er zurückkommt, ist mir recht leid, Tante Katharina, ist nicht meine Schuld.«
     
    Die Grabber schwieg einen Augenblick, dann schrie sie: »Von mir aus kann er ganz wegbleiben! Ich hätt ihn sowieso heimgeschickt! Untersteh dich noch mal, mir ein solches Miststück zu empfehlen!«
     
    »Na, na, na«, sagte Paul, »du hast schließlich keinen Schaden davon gehabt. Er hat dir umsonst deine Wagen überholt. Heil Hitler!«
     
    Die Grabber setzte sich hinter den Schreibtisch. Die rote Zahl auf ihrem Kalender machte ihr klar, daß Sonntag war. Am Sonntag blieben die Umzugswagen meistens an ihren Bestimmungsorten. Sie hatte keine Familie mehr, und wenn sie eine gehabt hätte, war sie nicht hingegangen. Ihre Enttäuschung war übermäßig über diese belanglose Kleinigkeit; daß der Schwager von Paul nun doch die Stelle nicht antrat. Wahrscheinlich war diese Zustellung nur eine Ausflucht, es hatte ihm nicht bei ihr gepaßt. Dann hätte er aber gestern abend nicht mit ihr trinken dürfen. Das hätte er nicht gedurft, dachte sie wütend, das war schlecht von dem Menschen. – Sie sah sich um in der unübersehbaren Öde des Sonntags, eine wahre Sintflut von Öde, auf der ein paar Gegenstände herumtrieben, ein Hügelchen aus Malachit, eine Lampe, ein Hauptbuch, ein Kalender. – Sie stürzte ans Fenster und rief in den Hof »Paul!« – Paul war schon längst weitergezogen mit seiner Liesel zu dem Niederrader Sportplatz.
     
     
     
    Hermann sah und hörte halb froh, halb schuldbewußt, seiner Frau zu, die sich für die Sonntagseinladung bei den vorderen Marnets hübsch machte und dazu sang. Mit ihrem feucht gebürsteten Haar, ihrem Halskettchen, ihrem steif gebügelten Kleid, ihren reinen Augen glich sie einem kräftigen Konfirmandenkind. Obwohl man nur zehn Minuten Weg den Berg hinauf hatte, setzte sie doch einen Hut auf ihren runden Kopf. »Um es den vorderen Marnets zu zeigen.« Daß die Else, die dumme, kleine Else, diesen gutbesoldeten älteren Eisenbahner zum Mann bekommen hatte, konnte ihre Kusine Auguste Marnet auch jetzt noch nicht verdauen.
     
    Hermann beobachtete belustigt das Gesicht seiner Else, als sie sich Marnets Haus näherten. Er kannte ihre Regungen alle, wie man sich in den Regungen eines Vögelchens rasch auskennt. Wie sie stolz war auf die Ehe, die sie für unzerstörbar nahm. »Was siehst du mich heute so komisch an?« War es gut, war es schlecht, daß sie zu fragen anfing?
     
    Wenn man die Schmiedtheimer Höhe heraufstieg, fragte man sich, was für ein starkes blaues Licht hinter Marnets Gartenzaun glänzte. Erst im Näherkommen verstand man, daß es die große Glaskugel über dem Asternbeet war.
     
    Marnets Küche war heiß und feucht. Um den Tisch herum saß die ganze Familie mit allen Gästen. Einmal im Jahr nach der Apfelernte gab es hier oben Kuchen auf Blechen fast so groß wie der Tisch. Alle Mäuler glänzten von Saft und Zucker, die Mäuler der Kinder ebenso wie die Soldatenmäuler, und selbst die knausrig dünnen Lippen der Auguste glänzten. Auf dem Tisch sah
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