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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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die mächtige Kaffeekanne mit ihrer kleineren Milchkanne und ihren zwiebelgemusterten Tassen selbst wie eine Familie aus. Um den Tisch herum saß ein ganzes Volk: die Frau Marnet mit ihrem winzigen Bäuerchen, ihren Enkeln, das Ernstchen und das Gustavchen, ihrer Tochter Auguste, ihrem Schwiegersohn und ihrem ältesten Sohn, diese beiden in SA-Uniform, ihrem Soldatensohn, neu und blank, Messers zweiter Sohn, der Rekrut, Messers jüngster Sohn in SS-Uniform, aber Apfelkuchen bleibt Apfelkuchen – die Eugenie so stolz und schön. Sophie Mangold ein bißchen matt. Ernst der Schäfer mit einer Krawatte und ohne Halstuch – seine Mutter vertrat ihn derweil bei der Herde -, Franz, der aufsprang, als Hermann und Else ankamen. An dem Kopfende des Tisches, am Ehrenplatz, saß die Schwester Anasta-sia von den Königsteiner Ursulinen. Ihre weißen Haubenenden schimmerten über den Kaffeetisch.
     
    Else setzte sich stolz zu den Frauen ihrer Familie. Ihre feste Kinderhand, an der ein Ehering steckte, platschte vergnügt nach dem Apfelkuchen. Hermann hatte sich neben Franz gesetzt. – »Vorige Woche hat sich die Dora Katzenstein bei mir verabschiedet«, sagte die Schwester Anastasia, »ich hab früher den Stoff für meine Waisenkinder in ihrem Laden gekauft. >Sagen Sie’s niemand, Schwesten, hat die Dora gesagt, >aber wir gehen jetzt bald alle weg.< Sie hat auch geflennt. – Gestern waren die Läden zu bei den Katzensteins, und der Schlüssel hat unter der Matte gelegen. Wie man dann aufgemacht hat, da drin im Lädchen alles kahl und ausverkauft! Nur das Metermaß hat auf dem Ladentisch gelegen.«
     
    »Die sind doch nicht eher ab, als bis ihr letzter Rest Kattun verkauft war«, sagte die Auguste. Ihre Mutter sagte: »Wenn wir wegmüßten, würden wir auch warten, bis wir unsere letzten Kartoffeln drin hätten.« – »Du kannst doch unsre Kartoffeln nicht mit den Katzensteins ihrem Kattun vergleichen.« – »Man kann alles miteinander vergleichen.« Messers SS-Sohn sagte: »Eine Sara weniger.« Er spuckte aus. Aber der Frau Marnet war’s lieber, er würde nicht gerade auf ihren Küchenboden spucken. Überhaupt ist es schwer, in Marnets Küche Schauder zu verbreiten. Selbst wenn die vier Reiter der Apokalypse an diesem Apfelkuchen-Sonntag vorbeigestoben kämen, sie würden ihre vier Pferde an den Gartenzaun binden und sich drin wie vernünftige Gäste benehmen.
     
    »Du hast ja mal schnell Urlaub bekommen, Fritzchen«, sagt der Hermann zu seinem angeheirateten Vetter Marnet. »Hast du’s nicht in der Zeitung gelesen? Jede Mutter soll ihre Freude haben am Sonntag, wenn sie gleich einen funkelnagelneuen Rekruten im Haus hat.«
     
    Die Eugenie sagt: »An seinem Sohn freut man sich in jeder Aufmachung.« Alle sehen sie etwas betreten an, aber sie sagt ruhig: »So ein neuer Rock ist natürlich schöner als einer mit Löchern, besonders wenn die Löcher tief reingehen.«
     
    Aber die anderen sind froh, daß die Schwester Anastasia über die kühle Pause noch mal aufs Alte zurückkommt. »Die Dora war ganz brav.« – »Sie hat keinen richtigen Ton singen können«, sagt Auguste, »wir waren zusammen in der Schule.« – »Ganz brav«, sagt Frau Marnet. »Wieviel Rollen Kattun die auf ihrem Rücken schon rumgeschleppt hat.« Die Dora Katzenstein sitzt schon auf ihrem Auswandererschiff, da steigt noch einmal in Marnets Küche ihr zu Ehren das zarte Fähnlein auf, der Nachruf.
     
    »Ihr zwei seid wohl bald Brautleute?« fragte Schwester Anastasia. »Wir?« rufen Sophie und Ernst. Sie rücken entschieden auseinander. Aber die Schwester kann von ihrem Ehrenplatz aus nicht nur über, sondern auch unter den Tisch sehen. »Wann kommst du denn mal endlich zu den Soldaten?« fragt die Frau Marnet, »das würde dir gut tun, Ernst, da wirst du dich nicht mehr vor allem drücken können.« – »Der war seit Monaten bei keiner Übung mehr«, sagt der SA-Marnet. »Ich bin von allen Übungen dispensiert«, sagt Ernst, »ich bin beim Luftschutz.« Alle lachen bis auf den SS-Messer, der den Ernst mit Widerwillen betrachtet. »Du mußt wohl deinen Schafen Gasmasken anprobieren?« Ernst wendet sich plötzlich an den Messer, denn er hat seinen Blick gespürt. »Na und du, Messer? Dir wird’s wohl hart ankommen, deinen schönen schwarzen Frack mit einem gewöhnlichen Soldatenrock zu vertauschen.« – »Hab ich auch gar nicht nötig«, sagte der Messer, aber bevor eine kühle Pause kommt oder noch was Schlimmeres, sagt die Schwester
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