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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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im Haus, die Wand um das Fenster ist durchlöchert von Schwalbennestern. Unten auf der Wiese sitzt eine Elster. Als ich noch einmal hinsehe, ist sie verschwunden. Ich setze mich aufs Bett, ich kann nichts anderes tun, als zu warten.
    Meine Aufregung ist so groß, dass nichts anderes mehr Platz hat. Unten geht die Tür, jemand ruft etwas in britischem Englisch. Das muss der Junkie sein. Er klingt fröhlich.
    Plötzlich klopft es an der Tür. Geppetto ruft:
    »Celestina, are you hungry?«
    »No, thank you«, antworte ich und öffne trotzdem die Tür. Er sieht mich aufmerksam an, ich setze mehrmals an, etwas zu sagen, aber ich bekomme keinen Ton heraus. Schließlich flüstere ich:
    »I’m not well.«
    Als ich es sage, spüre ich die Tränen, sie sind längst da, laufen mir über die Wangen, ohne dass ich schluchze.
    »Never mind«, sagt er und lächelt.
    Der glückliche Junkie kommt die Treppe heraufgesprungen, er ist älter, als ich dachte, um die fünfzig, schätze ich.
    »Hi!«, ruft er.
    »Hi«, flüstere ich noch immer.
    Er macht ein paar wirre Bewegungen mit den Armen und steigt die Treppe wieder runter. Geppetto nickt mir zu und folgt ihm, ich schließe die Tür ab. Nach ein paar Minuten kommt Geppetto wieder zurück. Bevor er klopfen muss, habe ich ihm schon geöffnet.
    »Lollo awake the night, problems with sleeping! If you want, you can be with her talking a little. She will be in the kitchen.«
    »Thank you. Grazie.«
    Später höre ich Lollo und Geppetto laut reden, aber sie streiten nicht mehr. Der Junkie putzt sich singend die Zähne, wünscht allen, auch mir, schreiend »Good night« und knallt seine Tür zu. Das Quietschen von Geppettos Zimmertür beschließt die Geräusche des Abends.
    Etwa eine Stunde später steige ich langsam die Treppen hinunter. Lollo sitzt in der geräumigen Küche am Tisch und puzzelt. Als ich mich nähere, blickt sie auf, strahlt mich mit roten Augen an.
    »Sie puzzeln?«
    »Ja, aber ich bin schlecht darin.«
    Sie ist wirklich nicht besonders weit gekommen. Es lässt sich noch nicht mal erkennen, welches Bild entsteht. Als sie meinen Blick sieht, zieht sie die Schachtel unterm Tisch hervor.
    »Der Vatikan!« Sie lächelt entschuldigend.
    »Da haben Sie sich aber viel vorgenommen«, sage ich.
    »Sagen wir doch einfach ›Du‹ zueinander, in Ordnung?«
    »In Ordnung.«
    »Ich habe noch nie vorher gepuzzelt. Geppettos Mutter hat es mir vor Jahren geschenkt, ich dachte, heute ist ein guter Tag, damit anzufangen. Ich wusste ja nicht, wann du runterkommst.«
    Ich setze mich, aber ich bin auch nicht besser im Puzzeln als sie. Ich sehe auf ihre Hände, ihre Haare, ihre Nase, ihre gebräunte, trockene Haut. Sie fragt:
    »Willst du über irgendetwas reden?«
    »Nein, jetzt nicht.«
    »Es tut mir leid«, sagt sie und legt das Puzzleteil, das sie schon lange festhält, auf den Tisch.
    Ihre Fingernägel sind abgekaut. Sie sieht nicht aus wie eine Mutter.
    »Frag mich etwas, das wäre jetzt gut«, sage ich.
    »Verstehst du dich gut mit deiner Stiefmutter?«
    Ich muss fast lachen.
    »Es geht so«, antworte ich.
    »Und mit deinem Vater?«
    »Ist eben mein Vater. Warum sprichst du so gut Deutsch?«
    »Ich bin mit Anfang zwanzig endlich weg von meinem Vater aus Rom und zurück nach Hause nach Marseille, dann bald weiter nach Paris. Dort habe ich mich einen Monat später wieder in einen Deutschen, einen Fotografen, verliebt. Wir sind zusammen nach München gezogen, es hat nicht gehalten, aber ich habe dort die meiste Zeit gelebt, bis ich Mitte dreißig war. Danach war ich eine Weile in Odessa, kurz in Tel Aviv und schließlich bin ich wegen eines Jobs nach Palermo und in Italien hängengeblieben. Seitdem lebt Marcella wieder bei mir, sie ist bei ihren Großeltern in Marseille aufgewachsen. Es kommen immer wieder deutsche Gäste, deshalb spreche ich noch oft Deutsch.«
    »Du hast also wenige Jahre nach meiner Geburt wieder in Deutschland gelebt?«
    »Im Süden von Deutschland, ja.«
    »Verstehe. Hm. Was ist mit Marcella, habt ihr ein gutes Verhältnis?«
    »Wir kommen miteinander aus. Sie ist viel unterwegs, ich weiß oft nicht mal, wo sie gerade ist. Das ist ihre Sache, leben und leben lassen eben.«
    Schnell nimmt sie wieder ein Puzzleteil in die Hand.
    »Ist Enki dein Freund?«
    »Ich weiß nicht, er ist einfach abgehauen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Möchtest du etwas trinken? Kaffee, ein Glas Wein, etwas Härteres? Fernet-Branca, Wodka?«
    »Wein ist gut. Rotwein.«
    »Ich habe einen alten
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