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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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wolltest? Ich hätte doch gar nichts dagegen gehabt.«
    »Ich wusste es nicht, ich bin wegen Enki hergekommen, und weil Heinrich mich dazu überredet hat.«
    »Wer ist Heinrich?«
    »Den lernst du auch noch kennen. Und Lilli.«
    »Und wer soll das jetzt alles verstehen?«
    »Ich verstehe es auch nicht, Papa, ist viel passiert.«
    »Wie findest du sie denn so?«, fragt er vorsichtig.
    »Sie ist nicht unbedingt herzlich. Aber interessant.«
    »Und so hübsch wie du.«
    »Ich finde sie hübscher als mich!«
    »Unfug, niemand ist hübscher als du, Stine! Kommst du gleich runter, es gibt Mittagessen. Jetzt wird gegrillt, bis Winter ist! Hast du die Grillanlage im Palastgarten gesehen? Der Geppetto, der ist ja ein Kerniger, er wollte rüber zu einem Bauernfreund, ein Ferkel für den Spieß holen. Und Joseph macht ihm schöne Augen und dackelt hinterher. Was für ein Tollhaus! Der ist nett, der Herr Geppetto, ich muss Joseph mal dringend sagen, dass er den nicht in so peinliche Lagen bringen soll.«
    »Geppetto steht auch auf Männer, Papa!«
    »Unfug, Italiener sind nicht schwul! Zumindest nicht solche! Und der ist außerdem viel zu alt für Joseph. Ich spring schon mal runter und schmeiß den Grill an: It’s time for music, Zelestine!«
    Reiner gibt Anaconda ein Zeichen, ihm zu folgen. Als er die Tür öffnet, hört man einen hellen Schrei. Er hat sie einem Mädchen an den Kopf geknallt, nun nimmt er sie in den Arm und pustet ihr die Stirn. Sie lacht darüber. Dann steht sie plötzlich mitten im Raum.
    »Ciao!«
    »Hallo«, sage ich.
    Bevor ich antworte, kommt sie auf mich zu, umarmt mich, küsst mich auf beide Wangen und sagt:
    »I’m so happy, I cried the whole morning.«
    Sie setzt sich zu mir aufs Bett.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und starre sie an, sie sieht aus wie eine Mischung aus Enki und mir.
    »I am a musician, what is your profession?«
    »I don’t know yet«, sage ich.
    »Interessante! See you later – sister!«
    Sie springt auf und läuft die Treppen runter.
    »See you later!«, rufe ich.
    Als ich später nach unten gehe, sitzt Ramona allein am Tisch in der Küche. Sie ist ungeschminkt und hat einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Diesen Ausdruck habe ich noch nie gesehen, weder bei ihr noch bei sonst einem Menschen. Ihr fehlen ein paar Haare, oben auf dem Kopf ist eine kreisrunde gerötete kahle Stelle. Es sieht nicht nach Haarausfall aus, eher so, als hätte sie sich Haare ausgerissen.
    »Hallo, guten Tag«, sagt sie leise.
    »Guten Tag. Ich bin Stine.«
    »Ich heiße Ramona?«
    »Ja, du bist Ramona«, antworte ich. Sie nimmt einen Schluck Espresso, lächelt hilflos und sagt plötzlich, ohne eine Miene zu verziehen:
    »Es ist schön hier. War ich schon mal hier?«
    »Nein«, antworte ich. »Wir waren alle noch nie hier. Es ist für uns alle neu.«
    Sie nickt verlegen.
    »Wer bist du denn für mich?«
    »Ich bin deine Stieftochter.« Sie nickt heftig.
    »Ja, ja, ach ja, das hat man mir schon gesagt. Die Tochter meines Mannes. Verstehen wir uns denn? Ich meine gut?«
    Ich zögere und sage dann:
    »Ja, natürlich … Sehr gut. Manchmal ist es schwierig«, erkläre ich, aber als sie erschrocken aufblickt, sage ich:
    »Aber das kommt ja in den besten Familien vor.«
    »Und in den schlechtesten.« Sie schaut auf den Boden. Ich habe keinen Zweifel mehr daran, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat.
    »Man hat mir gesagt, mit der Zeit würde ich mich erinnern. Ich erinnere mich an nichts, aber ich bin so traurig. Ist mein Leben traurig?«
    »Du hast mir nie gesagt, ob du traurig bist. Ich weiß es nicht.«
    »Wie ist meine Ehe mit deinem Vater?«, fragt sie leise.
    »Das musst du mit ihm besprechen, ich möchte mich da nicht einmischen.«
    »Ich glaube, ich könnte ihn lieben. Er sieht gut aus«, sagt sie mit zitternder Stimme. Sie ist überhaupt nicht mehr heiser.
    »Sie haben mir geraten, in Deutschland eine Therapie zu machen.«
    »Das ist gut, Ramona. Das ist sehr gut.«
    Sie hält mir eine Schale mit Mandelkeksen hin, ich nehme mir einen und frage: »Wo sind die anderen?«
    »Alle sind draußen im Garten, es ist so schönes Wetter, und sie decken den Tisch auf der Terrasse. Es gibt Huhn und später vielleicht ein ganzes Schwein. Mag ich Huhn und Schwein?«
    »Du magst alles. Du bist unkompliziert.«
    »Ja«, sagt sie. »Aber es ist alles ein bisschen viel, wenn alles neu ist.«
    »Ja. Ich weiß. Komm, wir gehen raus zu den anderen.«
    »Nein, ich nicht, ich will lieber hier sitzenbleiben, ich
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