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Das Schweigen

Das Schweigen

Titel: Das Schweigen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nie ... außerdem geht es
    doch«, sagte Korvensuo und deutete auf den Bildschirm.
    Das Bild war tatsächlich klarer geworden, die Finnen
    führten den Ball.
    Korvensuo wandte sich ab und sah hinunter zum See.
    Die Mädchen standen in der Abendsonne und
    schubsten sich, bis Laura kreischend ins Wasser fiel.
    Aku hatte sich schon angezogen, lief ihnen entgegen
    und rief, dass er Eis essen wolle.
    »Gleich«, rief Marjatta.
    Korvensuo setzte sich und ließ sich eine Weile von
    Arvis Geschwafel über den finnischen Fußball einschlä-
    fern. Ab und zu warf Pekka etwas dazwischen. Auch das
    Spiel auf dem Bildschirm wirkte ermüdend, und die
    Wärme des Abends hüllte ihn ein wie eine Decke. Ab
    und zu fielen ihm die Augen zu.
    Marjatta brachte Eiscreme, die Kinder redeten durch-
    einander und griffen nach den Tellern, die Marjatta
    reichte. Die Sonne war verschwunden, aber er hatte fast
    den Eindruck, dass es immer noch wärmer wurde. Auf
    dem Bildschirm sah er den Nachrichtensprecher. Er
    wollte Arvi fragen, ob das Spiel zu Ende oder in der
    Halbzeit sei, aber Marjatta stellte ihm eine Frage, die er wie durch einen Schleier wahrnahm, denn er sah etwas,
    das ihn irritierte ...
    »Hm?«
    »Ich frage, ob du auch Eis möchtest, den kleinen Rest,
    der übrig ist«, sagte Marjatta noch einmal und hielt ihm
    das Eis vor die Nase, aber er konnte den Blick nicht ab-
    wenden von diesem Bild, das er sah und das ... um ihn
    herum redeten die Mädchen und Aku hatte wohl
    begonnen zu weinen ...
    »Ich hole gleich noch eine Packung aus dem Kühl-
    schrank, und dann sind alle zufrieden, dann ist auch
    unser Aku zufrieden«, hörte er Marjatta sagen und
    spürte, dass er sich erhoben hatte. Er lief. »Was läuft
    denn da?« fragte er im Vorbeigehen Arvi, aber Arvi
    hörte ihn nicht, weil er angeregt mit Pekka diskutierte.
    Aku weinte nicht mehr.
    »Ich mag auch noch«, sagte Laura.
    Korvensuo kniete sich vor den Fernseher, ließ den
    Bildschirm nicht aus den Augen und versuchte, sich auf
    die Worte zu konzentrieren, die aus dem Gerät drangen.
    Er tastete nach den Knöpfen für die Lautstärke.
    »Was Besonderes?« hörte er Marjatta in seinem Rü-
    cken fragen, sie stand direkt hinter ihm, während er
    vorsichtig lauter stellte.
    Marjatta legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    Er hörte die sachliche Stimme eines Nachrichten-
    sprechers.
    »Mach doch mal lauter, da ist doch wieder was pas-
    siert«, sagte Arvi.
    Auf dem Bildschirm war ein Fahrrad zu sehen. Ein
    Feld. Ein Feld im Sonnenschein. Neben dem Fahrrad
    erkannte Korvensuo ein Kreuz. Ein Kreuz stand im
    Boden vor dem Feld und dahinter im Feld lag ein Fahr-
    rad, das Fahrrad lag in der Sonne. Die Stimme des
    Sprechers sprach von dem Kreuz und einem ähnlich
    gelagerten Fall, der dreiunddreißig Jahre zurücklag. Das
    Foto eines Mädchens wurde eingeblendet. Die Stimme
    teilte den Namen und das Alter mit und erklärte, das
    Mädchen sei vor dreiunddreißig Jahren getötet wor-
    den.
    »Furchtbar«, hörte er Johanna sagen, und dann sah er
    auf dem Bildschirm ein rotes Auto, kein Foto, sondern
    die Zeichnung eines roten Kleinwagens. Er richtete sich
    abrupt auf. Etwas rieselte durch seinen Körper. Ein war-
    mes Gefühl. Trocken. Wie Sand. Er ging an den anderen
    vorbei zurück zu dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte.
    Die anderen standen um den Fernseher herum und re-
    deten, aber er hörte nur Arvis Stimme, während trocke-
    ner, warmer Sand durch seinen Körper rieselte.
    »Man fragt sich, was für ein Schwein das jetzt wieder
    war«, sagte Arvi.
    Als keiner etwas entgegnete, sagte Arvi noch: »Man
    hat ja keine Lust mehr, Kinder zu kriegen.«
    Im Anschluss daran sagte eine Weile niemand etwas.
    Die Kinder standen unschlüssig vor dem Fernseher und
    nippten an ihrem Eis. Marjatta schlug vor, Kaffee zu
    kochen. Johanna folgte ihr. Aku nutzte die Abwesenheit
    seiner Mutter und lud sich noch eine Portion Eis auf
    seinen Teller.
    »Darf ich?« fragte er.
    Korvensuo nickte.
    Arvi und Pekka kehrten zu ihren Plätzen zurück und
    betrachteten den Bildschirm, auf dem die zweite Halb-
    zeit begann. Die Mädchen gingen mit einem Kartenspiel
    den Abhang hinunter zum Steg.
    Korvensuo sah alles ganz klar. Sein Körper war gefüllt
    mit Sand.
    Marjatta goss Kaffee ein.
    Arvi und Pekka bejubelten einen Treffer der finni-
    schen Fußballer.
    »Irgendwie denkt man, in Finnland passiert so was
    nicht«, sagte Marjatta. Johanna nickte. Arvi und Pekka
    waren auf das Spiel konzentriert. Korvensuo
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