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Das Schweigen des Glücks

Das Schweigen des Glücks

Titel: Das Schweigen des Glücks
Autoren: Nicholas Sparks
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nicht verstanden, was er soeben vorgelesen hatte, »Kyle hat Probleme beim Erlernen von Sprache. Aus irgendwelchen Gründen – wir kennen sie nicht – kann Kyle nicht seinem Alter gemäß sprechen, obwohl sein IQ normal ist. Außerdem versteht er Sprache nicht in dem gleichen Ausmaß wie andere Vierjährige.«
    »Ich weiß.«
    Die Sicherheit, mit der sie antwortete, verblüffte ihn. Denise hatte den Eindruck, dass er entweder Widerspruch, eine Entschuldigung oder eine Liste vorhersehbarer Fragen erwartet hatte. Als er merkte, dass sie weiter nichts sagen wollte, räusperte er sich.
    »Hier ist eine Notiz, die besagt, dass sie ihn noch von jemand anders haben beurteilen lassen.«
    Denise nickte. »Das ist richtig.«
    Er blätterte in den Papieren. »Die Berichte liegen dieser Akte nicht bei.«
    »Ich habe sie Ihnen nicht gegeben.«
    Er zog die Augenbrauen leicht in die Höhe.
    »Warum nicht?«
    Sie griff nach ihrer Handtasche, nahm sie auf den Schoß und dachte nach. Schließlich sagte sie: »Kann ich offen sprechen?«
    Sie warf einen Blick auf Kyle, bevor sie sich wieder dem Arzt zuwandte. »Bei Kyle sind in den vergangenen zwei Jahren immer wieder falsche Diagnosen gestellt worden alles von Taubheit über Autismus und allgemeine Entwicklungsstörungen bis hin zu einer akustischen Auflösungsschwäche. Im Laufe der Zeit stellten sich alle diese Diagnosen als nicht zutreffend heraus. Wissen Sie, wie schwer es für eine Mutter ist, sich diese Dinge über ihr Kind anzuhören, ihnen monatelang Glauben zu schenken, alles darüber zu lesen und es schließlich zu akzeptieren, um dann gesagt zu bekommen, dass es ein Irrtum war?«
    Der Arzt antwortete nicht. Denise sah ihm in die Augen und hielt seinen Blick fest, bevor sie fortfuhr:
    »Ich weiß, dass Kyle Probleme mit der Sprache hat, und Sie können mir glauben, dass ich alles über akustische Auflösungsschwäche gelesen habe. Um ehrlich zu sein, ich habe wahrscheinlich ebenso viel darüber gelesen wie Sie. Dennoch wollte ich seine Sprachfähigkeiten von einem unabhängigen Dritten testen lassen, um genau zu erfahren, wo er Hilfe braucht. In dieser Welt muss er auch mit anderen sprechen können, nicht nur mit mir.«
    »Also… dann habe ich Ihnen nichts Neues gesagt.«
    Denise schüttelte den Kopf. »So ist es.«
    »Macht er bei einem Programm mit?«
    »Ich arbeite mit ihm zu Hause.«
    Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Geht er zu einem Sprach- oder Verhaltenstherapeuten, zu Experten, die mit Kindern wie ihm gearbeitet haben?«
    »Nein. Er ist über ein Jahr dreimal die Woche bei einem Therapeuten gewesen, aber das hat offenbar nicht geholfen. Er kam einfach nicht vorwärts, deswegen habe ich ihn letzten Oktober rausgenommen. Jetzt mache ich es allein.«
    »Ich verstehe.«
    Er sagte das in einem Ton, der ausdrückte, dass er mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden war.
    Sie sah ihn aus schmalen Augen an.
    »Sie müssen eins wissen – obwohl diese Einschätzung zeigt, dass Kyle auf dem Stand eines Zweijährigen ist, ist das eine Verbesserung. Bevor ich anfing, mit ihm zu arbeiten, hat er überhaupt keine Fortschritte gemacht.«
    Das lag drei Stunden zurück, Denise war auf dem Highway und fuhr nach Hause; ihre Gedanken schweiften zu Brett Cosgrove, Kyles Vater. Er war ein Mann, der Blicke auf sich zog, der Typ, dem auch Denise nachsah: groß und schlank, mit dunklen Augen und schwarzen Haaren. Sie hatte ihn auf einer Party gesehen, von Menschen umgeben, offensichtlich daran gewöhnt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Damals war sie dreiundzwanzig gewesen, ledig, in ihrem zweiten Berufsjahr als Lehrerin. Sie fragte ihre Freundin Susan, wer er sei. Sie erfuhr, dass Brett für ein paar Wochen in der Stadt war und für eine Investment-Bank arbeitete, deren Namen Denise inzwischen vergessen hatte. Es war unerheblich, dass er nicht in der Stadt wohnte. Sie sah in seine Richtung, er sah zu ihr herüber und ihre Blicke trafen sich in den nächsten vierzig Minuten immer wieder, bis er zu ihr kam und sie ansprach.
    Wer kann erklären, was dann geschah? Hormone? Einsamkeit? Die Stimmung des Moments? Was immer die Gründe waren, sie verließen die Party kurz nach elf, tranken noch etwas in der Hotelbar und unterhielten sich dabei mit witzigen Anekdoten, kokettierten mit dem, was dann geschehen könnte, und landeten zusammen im Bett. Sie sah ihn nur dieses einzige Mal. Er ging wieder nach New York, wo er sein Leben hatte. Wo er, so vermutete sie, auch eine
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