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Das Schweigen des Glücks

Das Schweigen des Glücks

Titel: Das Schweigen des Glücks
Autoren: Nicholas Sparks
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allen Kindern Kyle getroffen?
    Nach dem Tanken fuhr Denise wieder auf den Highway, sie hatte immer noch einen Vorsprung vor dem Unwetter. In den nächsten zwanzig Minuten regnete es weiter, zwar nicht wolkenbruchartig, aber doch kräftig. Sie sah zu, wie die Scheibenwischer das Wasser zur einen, dann zur anderen Seite schoben, und fuhr weiter in Richtung Edenton, North Carolina. Ihre Cola Light hatte sie zwischen der Handbremse und dem Fahrersitz eingeklemmt, und obwohl sie wusste, dass es ihr nicht gut tat, trank sie den Rest aus und wünschte sich auf der Stelle, sie hätte noch eine Dose gekauft. Sie hoffte, das zusätzliche Koffein würde sie wach halten und ihre Aufmerksamkeit von Kyle auf das Fahren lenken. Aber Kyle war immer da.
    Kyle. Was konnte sie da sagen? Einst war er Teil von ihr gewesen, ab der zwölften Woche hatte sie seinen Herzschlag gespürt, in den letzten fünf Monaten ihrer Schwangerschaft konnte sie seine Bewegungen in sich fühlen. Nach der Geburt, noch im Kreißsaal, hatte sie ihn angesehen und war überzeugt, dass es auf der Welt nichts Schöneres gab. Das Gefühl war unverändert geblieben, obwohl sie keineswegs eine perfekte Mutter war. Inzwischen gab sie sich einfach allergrößte Mühe, nahm das Gute mit dem Schlechten und erfreute sich an den kleinen Dingen. Bei Kyle waren sie manchmal schwer zu finden.
    In den letzten vier Jahren hatte sie sich bemüht, Geduld mit ihm zu haben, aber das war nicht immer leicht. Einmal, als er noch kaum laufen konnte, hatte sie ihm mit der Hand den Mund zugehalten, um sein Schreien zu unterdrücken, aber das war, nachdem er die ganze Nacht wach gewesen war und fünf Stunden lang geschrien hatte; und es gibt überall auf der Welt erschöpfte Eltern, die ein solches Fehlverhalten verzeihen würden. Danach hatte sie jedoch versucht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Wenn sie merkte, dass sie an ihre Grenzen gelangte, zählte sie langsam bis zehn, bevor sie handelte, und wenn das nichts nützte, verließ sie das Zimmer, um ihre Fassung wieder zu gewinnen. Normalerweise half das, aber es war ein Segen und zugleich ein Fluch. Es war ein Segen, weil sie wusste, dass Geduld nötig war, wenn sie Kyle helfen wollte; es war ein Fluch, weil sie so ihre Fähigkeit als Mutter dauernd infrage stellte.
    Kyle kam auf den Tag genau drei Jahre, nachdem ihre Mutter an einem Blutgerinnsel im Gehirn gestorben war, zur Welt, und obwohl sie normalerweise nicht an Zeichen glaubte, konnte sie es dennoch nicht als Zufall betrachten. Kyle, dessen war sie sicher, war ein Geschenk Gottes. Kyle, das wusste sie, war ihr als Ersatz für ihre Familie geschickt worden. Außer ihm hatte sie niemanden auf der Welt. Ihr Vater war gestorben, als sie vier war, sie hatte keine Geschwister, alle ihre Großeltern waren tot. Kyle war der Einzige, auf den sie all die Liebe, die sie zu geben hatte, richtete. Aber das Schicksal ist undurchschaubar, das Schicksal ist nicht vorhersehbar. Obwohl sie Kyle mit Zuneigung überschüttete, war es doch nicht genug. Jetzt führte sie ein Leben, das sie sich so nicht vorgestellt hatte, ein Leben, in dem sie Kyles tägliche Fortschritte sorgfältig in einem Heft vermerkte. Jetzt führte sie ein Leben, das allein ihrem Sohn gewidmet war. Kyle beklagte sich natürlich nicht darüber, wie sie die Tage verbrachten. Kyle war anders als andere Kinder, er beklagte sich nie über etwas. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel.
    »Woran denkst du, Schatz?«
    Kyle sah dem Regen zu, der an die Scheibe gedrückt wurde, den Kopf zur Seite gedreht, seine Decke auf dem Schoß. Er hatte nichts gesagt, seit sie im Auto saßen, und beim Klang ihrer Stimme wandte er den Kopf. Sie wartete auf seine Antwort. Es kam keine.
    Denise Holton lebte in einem Haus, das einst ihren Großeltern gehört hatte. Nach deren Tod hatte ihre Mutter es geerbt und schließlich war es an Denise übergegangen. Es war nichts Besonderes – ein kleines, windschiefes Haus auf drei Hektar Land, das in den zwanziger Jahren gebaut worden war. Die beiden Schlafzimmer und das Wohnzimmer waren so schlecht nicht, aber die Küche bedurfte dringend einer neuen Ausstattung und das Badezimmer hatte keine Dusche. Die Holzböden der vorderen und hinteren Veranda hingen durch und ohne den tragbaren Ventilator hätte sie manchmal das Gefühl, sie würde bei lebendigem Leibe gebraten. Aber da sie mietfrei wohnen konnte, war es genau das, was sie brauchte. Seit drei Monaten war es ihr Zuhause.
    In Atlanta zu
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