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Das schoenste Maedchen der Welt

Das schoenste Maedchen der Welt

Titel: Das schoenste Maedchen der Welt
Autoren: Jo Hanns Roesler
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alles aus Liebe? Helene trat einem Schachklub bei. Man gab ihr einen reizenden Partner.
    „Johannes“, sagte er.
    „Helene.“
    „Wollen Sie eröffnen?“
    Helene eröffnete.
    „Zufrieden?“
    „Sehr.“
    „Gardez!“
    „Zu dumm!“
    „Schach dem König!“ rief Helene.

    „Matt?“
    „Ich glaube“, sagte Helene.
    Der Partner raufte sich die blonden Haare.
    „Ich werde dieses dumme Spiel nicht lernen!“
    „Lieben Sie es nicht?“
    „Ich hasse es!“
    „Warum spielen Sie es dann?“
    Der Partner gestand verlegen: „Ich bin verlobt.“
    „Und?“
    „Meine Braut ist eine leidenschaftliche Schachspielerin.“
    „Also ihr zuliebe?“
    „Ja.“
    Helene lächelte.
    „Genau wie bei mir!“
    „Sind Sie auch verlobt?“
    „Ja. Mit einem Schachspieler.“
    „Wenn ich an seiner Stelle wäre —“
    „Nun?“
    „Ich würde an andere Dinge denken!“„
    Er errötete. Helene nicht minder.
    Aber sie sagte noch schnell: „Wenn ich Ihre Braut wäre, würde ich auch an andere Dinge denken.“
    Sie hätte es nicht sagen sollen!
    Aber was will man gegen das Schicksal machen?

    *

    Als sie sich nach langen Küssen trennten, fragte Helene:
    „Wie soll ich es meinem Verlobten sagen?“
    „Daß du dich von ihm trennst?“
    „Ja.“
    Er nahm aus seiner Tasche eine Karte.
    „Gib ihm das!“
    „Was ist das?“
    „Die Adresse meiner Braut.“
    „Was soll er mit ihr?“
    Er zog sie in seine Arme.
    „Schach spielen, während wir heiraten!“

Die Nacht vor dem neuen Jahr

    Ich verabscheue die Silvesternächte. Ich mag den lauten Lärm nicht, der den Abschied vom Gestern übertönen und die Angst vor der Zukunft betäuben soll. Ich weiß dankbar, daß das alte Jahr schön und fruchtbar war und daß das neue Jahr wieder schön und lebendig sein wird, wenn mir nicht der berühmte Ziegelstein vom Dach auf den Kopf fällt.
    So stelle ich am letzten Tag eines Jahres bereits in der frühen Dämmerung das Radio ab, halte die Uhren an, verschließe die Fenster, verriegele die Tore und die Türen, stopfe mir Watte in die Ohren und verkrieche mich in ein zeitloses Buch. Ich will unter keinen Umständen wissen, in dieser Minute ist das alte Jahr vorbei, in dieser Minute beginnt das neue Jahr.
    So tat ich es auch im Jahre 19 .. Jedoch, diesmal verfolgte mich das Geschick. Kurz vor Mitternacht griff ich unwillkürlich nach meiner Taschenuhr, die ich vergessen hatte, tief in den Geldschrank unter die tausend Dukaten zu bergen, und die Uhr zeigte genau eine Minute vor zwölf. Man kann sich zwingen, etwas zu vergessen. Aber eine Minute reicht dazu nicht aus. Um etwas zu vergessen, muß man zuvor fest daran denken. (Das ist das alte Lied von der brennenden Liebe, die eher verlischt als die gleichmäßige Zuneigung.) Ich verfluchte meine Taschenuhr und meine Vergeßlichkeit, die mich hinderte, das zu vergessen, was ich vergessen wollte, und erlebte das Sterben des alten Jahres und damit alle Nöte eines Herzens, die man in solchen Stunden erleben kann. Ich mußte an die gestorbenen Freunde des Jahres denken, ich fühlte mein Herz heftig schlagen, als ich an den Mai mit Marianne dachte. Ich sah mich als Verschwender und Vergeuder eines langen Jahres, wie groß war der Berg der Stunden gewesen und wie klein dagegen der Hügel des Geleisteten. Zum Überfluß fiel mein Blick noch in den Spiegel gegenüber, und ich fragte mich bang: kann dieser Mensch mit der ersten Müdigkeit des Alters noch die Welt einreißen? Ist dieser Mensch klüger und gescheiter und menschlicher geworden als vor zwanzig Jahren, da er noch gern in den Spiegel sah und wußte, er würde später viel klüger, gescheiter und menschlicher sein? Wo war die Krone auf dem Haupt, von der wir als junge Menschen alle wissen, daß wir sie eines Tages tragen werden? Damals glaubten wir, sie wäre aus Gold — heute wissen wir, daß sie immer nur aus Dornen geflochten ist und daß sich das Schicksal des einen Menschen in allen Menschen wiederholt. Wir werden alle in der gleichen Wiege geboren, zu uns kommen die gleichen drei Könige aus dem Morgenland, auch wenn sie Onkel Ferdinand oder Nachbar Lennemann heißen, auch wir tragen später die gleiche Dornenkrone, und ehe der Hahn dreimal kräht, verriet uns ein Freund. Ach, meine Freunde, ihr alle kennt dieses Gefühl! Warum soll ich euch das Herz so schwer machen, wie es mir an jenem Tag war?

    *

    Sagte ich euch, daß mich das Geschick verfolgte? Als ich am nächsten Morgen nach dieser bitteren Nacht die Fenster öffnete
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