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Das Schloss von Otranto

Titel: Das Schloss von Otranto
Autoren: Horace Walpole
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Manfred, Manfred, Ihr Gewissen, Ihre Verschuldung klagt Sie an, und mögte gern den Verdacht auf mich werfen. Behalten Sie Ihre Tochter, und denken Sie nicht mehr an Isabellen. Die Gerichte, die schon über Ihr Haus ergangen sind, verbieten mir, mich mit ihm zu verbinden.
    Manfreden beunruhigte der entschlossene Ton, mit dem Friedrich diese Worte sprach, also suchte er ihn zufrieden zu reden. Er schickte Bianca fort, und war so nachgebend gegen den Markgrafen, wußte Matildens Vorzüge so geschickt herauszustreichen, daß Friedrich noch einmal wankte. Doch konnte eine so junge Leidenschaft, wie die seinige, die Gewissenszweifel, die in ihm aufgestiegen waren, nicht sogleich überwinden. Bianca's Reden gaben ihm genugsam zu verstehn, daß der Himmel selbst sich gegen Manfred erklärt habe. Die vorgeschlagenen Vermählungen schoben seine Ansprüche weit hinaus: und der gegenwärtige Besitz des Fürstenthums Otranto reizte ihn mehr, als die Möglichkeit, es dereinst durch Matilden zu erben. Doch wolte er die Unterhandlung nicht ganz abbrechen, sondern Zeit gewinnen; und so fragte er: ob Hippolite wirklich in die Ehescheidung willige? Manfred war entzückt, kein andres Hinderniß zu finden, und versicherte den Markgrafen, im Vertrauen auf seinen Einfluß über seine Gemahlin, dem sey also, er könne sich aus ihrem eignen Munde von der Wahrheit überzeugen.
    Indem berichtete man ihnen, die Tafel sey aufgetragen. Manfred führte Friedrichen zur großen Halle, wo Hippolite und die jungen Prinzessinnen sie empfingen. Manfred setzte den Markgrafen neben Matilden, sich selbst zwischen seine Gemahlin und Isabellen. Hippolite bezeigte einen gefälligen Ernst; die jungen Damen waren still und schwermüthig. Manfred war entschlossen, diesen Abend noch mit dem Markgrafen weiter zu kommen, ließ das Mahl lange dauern, stellte sich über die Maassen frölich, und brachte Friedrichen unablässig volle Becher zu. Dieser war mehr auf seiner Hut, als Manfred wünschte; und schlug, unter dem Vorwande seines neulichen Blutverlustes die überhäuften Anforderungen aus. Der Fürst aber, um seine eignen verwirrten Lebensgeister zu erwecken, und unbesorgt zu scheinen, erlaubte sich viel zu trinken; doch ging er nicht bis zum Rausch.
    Es war spät, die Tafel ward aufgehoben. Manfred wolte Friedrichen mit sich nehmen. Dieser gab vor, schwach und ruhbedürftig zu seyn, und sein Zimmer suchen zu müssen; doch, setzt' er verbindlich hinzu, soll meine Tochter Ihrer Hoheit Gesellschaft leisten, so lange ich mich dessen nicht fähig fühle. Manfred nahm das Anerbieten an, und begleitete Isabellen, zu ihrem nicht geringen Kummer, in ihr Gemach. Matilde folgte ihrer Mutter auf den Wällen der Burg, die Kühlung des Abends zu genießen. Sobald die Gesellschaft aus einander gegangen war, verließ Friedrich sein Zimmer, und fragte, ob Hippolite allein sey. Einer ihrer Bedienten, der nicht bemerkt hatte, daß sie ausgegangen war, antwortete ihm: um diese Zeit pflege sie sich gewöhnlich in ihre Betcapelle zu begeben, wo er sie wahrscheinlich finden werde. Der Markgraf hatte während des Mahls Matilden mit zunehmender Neigung betrachtet. Er wünschte jetzt Hippoliten in der Stimmung zu finden, die ihr Gemahl ihm versprochen hatte. Die Schreckenszeichen, die ihn beunruhigten, waren über seine Begierden vergessen. Leise und unbemerkt stahl er sich zu Hippolitens Gemach, entschlossen, sie zur Einwilligung in die Ehescheidung aufzumuntern, weil er bemerkt hatte, daß Manfred des festen Vorsatzes sey, den Besitz Isabellens als eine unwandelbare Bedingung festzusetzen, ehe er Matilden seinen Wünschen zusagen werde.
    Der Markgraf wunderte sich nicht, alles still im Gemach der Fürstin zu finden. Er schloß, sie sey in ihrem Betzimmer, wie man ihm berichtet hatte, und ging vorwärts. Die Thür war angelehnt; die Erleuchtung dunkel und beschattet. Da er die Thür sanft zurückdrückte, sah er eine Person vor dem Altar knien. Er trat näher, es war kein Frauenzimmer, sondern jemand in langem härnen Gewande, den Rücken gegen ihn gekehrt. Er schien im Gebet versunken. Eben wolte der Markgraf wieder gehn, als die Gestalt sich erhob, eine kurze Weile nachdenkend da stand, und sich nicht umsah. Der Markgraf erwartete, der heilige Mann würde etwa herauskommen, und wolte sich entschuldigen, ihn vielleicht gestört zu haben. Ehrwürdiger Vater, sprach er, ich suchte die Fürstin Hippolite – Hippolite? antwortete die Stimme: kamst du in diese Burg, Hippoliten zu suchen?
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