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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
Autoren: Charles Bukowski
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Pennern war zum Kotzen. Und das Leben des normalen Durchschnittsmenschen war stumpfsinnig und schlimmer als der Tod. Aber dazwischen schien es nichts zu geben. Auch Schulbildung war nur eine Falle. Das bißchen Bildung, das zu mir durchgedrungen war, hatte mich nur noch misstrauischer gemacht. Was waren denn Arzte, Anwälte, Wissenschaftler? Doch auch nur Menschen, die sich die Freiheit nehmen ließen, selbständig zu denken und zu handeln. Ich ging zurück in meinen Schuppen und trank.
    Wenn ich so herumsaß und trank, dachte ich oft an Selbstmord, doch dazu war mir mein Leben irgendwie zu schade. Es hatte eine Menge Schrammen, aber es gehörte mir. Manchmal sah ich in den Spiegel über der Kommode und sagte mir mit einem Grinsen: Wenn du schon abtreten willst, kannst du auch gleich acht oder zehn oder zwanzig von denen mitnehmen … An einem Samstagabend im Dezember saß ich wieder mal in meiner Bude, trank viel mehr als gewöhnlich, rauchte eine Zigarette nach der anderen, dachte an Mädchen, an die Stadt, an Jobs und an die Jahre, die vor mir lagen. Soweit ich sehen konnte, hatte ich kaum etwas Erfreuliches zu erwarten. Ich war kein Menschenhasser, ich war auch kein Frauenfeind, aber ich blieb gern allein. Es war ein gutes Gefühl, allein in einer kleinen Bude zu sitzen, zu trinken und zu rauchen. Mit mir allein hatte ich mich noch nie gelangweilt. Da wurde nebenan das Radio angestellt. Viel zu laut. Eine ekelhafte Schnulze. »Hey, Mann!« schrie ich. »Stell das Ding leiser!« Keine Reaktion.
    Ich stand auf und hämmerte an die Wand. »Ich hab gesagt, stell das verdammte Ding leiser!« Es blieb so laut wie es war.
    Ich ging hinaus und stellte mich vor seine Tür. Ich hatte nur eine Unterhose an. Ich holte mit dem Fuß aus und trat die Tür ein. Auf der Pritsche lagen zwei Menschen: ein alter fetter Kerl und eine alte fette Frau. Sie fickten gerade. Auf dem Tisch brannte eine kleine Kerze. Der alte Kerl war obenauf. Er hörte auf und sah zu mir her. Die Frau spähte unter ihm hervor. Sie hatten die Bude ganz gemütlich hergerichtet, mit Vorhängen und einem kleinen Teppich. »Oh, Entschuldigung…«
    Ich machte die Tür zu und ging zurück in mein Zimmer. Es war mir entsetzlich peinlich. Die Armen hatten ein Recht auf einen ungestörten Fick, um ihre schlechten Träume vergessen zu können. Sex und Alkohol und vielleicht Liebe. Das war alles, was sie hatten.
    Ich setzte mich wieder und goss mir ein Glas Wein ein. Die Tür ließ ich offen. Das Mondlicht drang herein und die Geräusche der Großstadt — Jukebox Gedudel, Autos, Flüche, Hundegebell, Radios … Wir waren alle zusammengesperrt, saßen alle in der gleichen Scheiße. Es gab kein Entrinnen. Wir würden den gleichen Weg wie die Scheiße nehmen.
    Eine kleine Katze blieb an der Tür stehen und sah zu mir herein. Ihre Augen phosphoreszierten im Mondschein. Feuerrot. Wunderschöne Augen.
    »Komm her, Miez …« Ich streckte die Hand aus, als hielte ich ihr etwas zu fressen hin. »Miez, Miez …« Die Katze lief weg.
    Ich hörte, wie nebenan das Radio abgestellt wurde. Ich leerte mein Glas und ging wieder hinaus. In meiner Unterhose, wie zuvor. Ich zog sie hoch und vergewisserte mich, dass nichts heraushing. Vor der Tür des Nebenzimmers sah ich, dass ich das Schloss zerbrochen hatte. Der Kerzenschein drang durch einen Spalt heraus. Sie hatten innen etwas gegen die Tür gestemmt, wahrscheinlich einen Stuhl. Ich klopfte leise an. Keine Antwort. Ich klopfte noch einmal. Ich hörte etwas. Dann ging die Tür auf. Der alte fette Kerl stand da. Sein Gesicht bestand aus dicken Sorgenfalten. Man sah nichts als Augenbrauen und Schnurrbart und zwei traurige Augen.
    »Hören Sie«, sagte ich, »das von vorhin tut mir sehr leid. Wollen Sie und Ihre Freundin nicht
auf einen Drink zu mir rüberkommen?«
»Nein.«
»Oder vielleicht kann ich Ihnen was zu trinken bringen?«
»Nein«, sagte er. »Lassen Sie uns bitte in Ruhe.«
Er machte die Tür zu.
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem meiner schlimmsten Kater. Ich schlief sonst immer bis Mittag, doch an diesem Tag gelang es mir nicht. Ich ging nach vorn in die Pension und machte mich im Badezimmer frisch. Dann ging ich durch die Gasse, die Holztreppe hinunter und auf die Straße. Sonntag. Der gottverdammt mieseste Tag von allen.
    Ich ging rüber zur Main Street. Eine Kneipe neben der anderen. Die Animierdamen saßen dicht beim Eingang, hatten die Röcke hoch und schlenkerten ihre Füße mit den Stöckelschuhen. »He,
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