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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
Autoren: Charles Bukowski
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denn dann machen?« Ich zeigte auf meine Flasche und nahm sie in die Hand.
»Wie willst du über die Runden kommen?« »Die Frage hör ich schon mein ganzes Leben.«
»Naja, ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber ich werde alles ausprobieren. Krieg,
Frauen, Reisen, Heirat, Kinder, alles. Sobald ich mein erstes Auto habe, werde ich es komplett
auseinandernehmen und dann wieder zusammenbauen! Ich will Bescheid wissen, wie alles
funktioniert. Ich würde gerne mal Korrespondent in Washington werden. Ich war gern an
einem Ort, wo große Dinge passieren.«
»Washington ist doch Krampf, Becker.«
»Und Frauen? Heiraten? Kinder?«
»Krampf.«
»Yeah? Na, was willst du denn?«
»Mich unsichtbar machen.«
»Du armer Scheißer. Du brauchst noch ein Bier.«
»Da hast du recht.«
Das Bier kam.
    Wir saßen da und schwiegen. Ich spürte, dass Becker seinen Gedanken nachhing. Er malte sich wahrscheinlich aus, wie es bei den Ledernacken sein würde, was er alles schreiben würde, und was er im Bett erleben würde. Vermutlich würde ein guter Schriftsteller aus ihm werden. Er platzte vor Enthusiasmus, und wahrscheinlich konnte er allen möglichen Dingen etwas abgewinnen. Dem Flug eines Falken, dem gottverdammten Ozean, Vollmond, Balzac, Brücken, Theater, Pulitzerpreis, dem Klavierspiel und der gottverdammten Bibel.
    In der Bar gab es ein kleines Radio. Sie spielten gerade einen Schlager. Plötzlich wurde die Sendung unterbrochen, und man hörte den Ansager: »Soeben erreicht uns eine Meldung. Die Japaner haben Pearl Harbor bombardiert. Ich wiederhole: Die Japaner haben Pearl Harbor bombardiert. Alle Angehörigen der Streitkräfte werden aufgefordert, sich unverzüglich in ihren Standorten zu melden.«
    Wir sahen einander an und konnten kaum begreifen, was wir da gehört hatten.
»Tja«, sagte Becker leise, »jetzt ist es soweit.«
»Trink dein Bier aus«, sagte ich.
Er trank einen Schluck.
    »Herrgott nochmal. Angenommen, irgendein blödes Arschloch schwenkt sein MG auf mich und drückt ab …«
    »Das kann durchaus passieren.«
»Hank …«
»Was?«
»Fährst du mit mir bis zur Kaserne?«
»Das kann ich nicht.«
    Der Barkeeper, ein Mann von etwa fünfundvierzig mit einem Schmerbauch und unsteten Augen, kam zu uns her. »Na, Soldat«, sagte er zu Becker, »sieht so aus, als ob du zurück in deine Kaserne musst, hm?«
    Das ärgerte mich. »Hey, Fettsack, lass ihn erst mal sein Bier trinken, ja?«
    »Aber sicher, klar … wie wär’s mit einem auf Kosten des Hauses, Soldat? Vielleicht ein
ordentlicher Whisky?«
»Nein«, sagte Becker, »schon gut.«
»Na los«, sagte ich zu Becker, »nimm den Drink. Er denkt, du opferst dein Leben, um ihm
seine Kneipe zu retten.«
»Na gut«, sagte Becker, »ich nehm den Drink.«
Der Barkeeper ignorierte mich und sah nur Becker an. »Du hast ‘n ziemlich ruppigen
Freund…«
»Bring du ihm nur seinen Drink«, sagte ich.
    Die anderen im Lokal schnatterten aufgeregt über Pearl Harbor. Vorher hatten sie kein Wort miteinander geredet. Jetzt waren sie aufgescheucht: Die Horde war in Gefahr.
    Becker bekam seinen Drink. Es war ein doppelter Whisky. Er trank ihn herunter.
    »Ich hab dir das nie erzählt«, sagte er, »aber ich bin Vollwaise.«
    »Na, ich will verdammt sein …« »Bringst du mich wenigstens an den Bus?« »Klar.« Wir standen auf und gingen zum Ausgang. Der Barkeeper wischte sich die Hände an seiner Schürze ab. Er hatte die Schürze ganz zusammengeknüllt und rieb sich aufgeregt die Hände daran ab. »Viel Glück, Soldat!« schrie er.
    Becker ging hinaus. Ich blieb stehen und wandte mich zum Barkeeper um.
»Im Ersten Weltkrieg dabei gewesen, hm?«
»Yeah, yeah …«, sagte er begeistert.
Ich holte Becker ein. Halb im Laufschritt gingen wir gemeinsam zum Busbahnhof. Die ersten
Jungs in Uniform trafen bereits ein. Der ganze Platz war in Aufregung. Ein Matrose rannte an
uns vorbei.
»Ich greif mir so ‘n Japs und leg ihn um!« brüllte er.
    Becker stellte sich am Fahrkartenschalter an. Einer der Soldaten hatte seine Freundin dabei. Sie redete auf ihn ein, weinte, drückte sich an ihn, küsste ihn. Der arme Becker hatte nur mich. Ich stand etwas abseits und wartete. Es dauerte lange. Der Matrose, der vor einer Weile herumgebrüllt hatte, kam zu mir her. »Hey, Mann, willst du uns nicht helfen? Was stehst du hier rum? Warum gehst du nicht da runter und meldest dich freiwillig?«
    Er stank nach Whisky, hatte Sommersprossen und eine große Nase. »Du verpasst deinen Bus«, sagte ich.
    Er
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