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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman
Autoren: Greg Bear
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fragt Nell unsere agilen Begleiter.
    »Sie sind wir «, erwidert die Stimme, die von überall her zu uns herüberdringt. Die Affen lassen sich hier
nieder. Manche striegeln einander das Fell, doch die meisten hängen sich einfach an die Äste und beobachten uns mit ihren glänzenden dunklen Augen.
    »Dürfen wir sie … wegbringen?«, frage ich. »Sie sind tot. Sie erwachen nie mehr zum Leben.«
    Die Affen denken darüber nach: Ich sehe, wie ihre seltsamen Gesichter und Körper ein Schauer durchläuft. Die Muskeln zucken, die Arme und Hände gestikulieren fast unmerklich. Der Schauer durchläuft einen nach dem anderen, setzt sich zum Nachbarn hin wie eine Woge fort. Sie denken seriell.
    Als dieser Prozess abgeschlossen ist, erklären sie unisono: »Wir sind nicht tot.«
    Offenbar erfasst Tsinoy als Einzige, was sie damit ausdrücken wollen. Sie hat sich jetzt schon geraume Zeit mit der körperlichen Form, Funktion und dem Wesen dieser Affen befasst und blickt anscheinend einigermaßen durch. »Die beiden haben sich also in alle von euch … eingepflanzt? Haben euch ihre Erinnerungen, Aufgaben und Pflichten übermittelt, damit ihr diese Menschen ersetzen könnt, wenn sie nicht mehr da sind?«
    Ringsum ist ein leises Rascheln zu hören, als Schwänze zucken, die kleinen Hände sich entspannen und dann wieder an den Ästen festkrallen. Diese Frage muss für sie so seltsam und wichtig sein, dass die Stimme sie nicht sofort beantworten kann.
    »Ja«, erwidert sie schließlich. »Sie sind wir.«
    »Nun, da haben wir ja Glück und können sie jetzt, da ihr sie nicht mehr braucht, wegbringen«, bemerkt Nell.
    »Wer hat dann hier das Sagen?«, flüstere ich Nell ins Ohr, aber sie übergeht meine Frage. Wie sollte sie auch eine Antwort darauf wissen?
    Doch Tsinoy hat mich gehört und wagt einen weiteren Vorstoß. »Warum habt ihr die Babys geschaffen und hierherbringen lassen?«
    »Sie sind unverdorben. Wenn sie herangewachsen sind, werden sie eine wichtige Entscheidung treffen«, erwidert die Stimme.
    Tomchin summt demonstrativ vor sich hin und wendet sich ab. »Schiff iss verrückt«, murmelt er. Wir alle begreifen, was er damit sagen will.
    »Das verstehen wir nicht«, erklärt Tsinoy. »Was gibt es für sie zu entscheiden, falls sie überhaupt irgendetwas entscheiden könnten ?«
    »Sie haben keine Traumzeit. Das Schiff hat sie nicht mit bestimmten Mustern geprägt. Sie sind noch unverdorben. «
    Gleich darauf zerren die Affen im hinteren Kontrollbereich am Blattwerk und reißen es heraus. Dadurch kommt eine runde, mit Moos überwucherte Luke zum Vorschein, die sogar für Tsinoy und Kim groß genug ist. Nell wischt sich die Hände an den Hosen ab, streckt die langen Finger hoch und blickt sich mit resignierter Miene um. In diesem Moment fahren Kontrollinstrumente hoch, als wollten sie Nell begrüßen. Flüchtig streicht sie über eine blaue Halbkugel. »Hier ist es auch nicht anders als in den Schiffskörpern«, erklärt sie. »Es gibt riesige Leerstellen im System. Verbrannte Erde. Das Schiff ist gar nicht
mehr in der Lage, irgendwelche Entscheidungen zu treffen.«
    »Das Schiff ist tot«, verkündet die Stimme.
    »Mutter hat ihr Ziel also so gut wie erreicht«, setzt Tsinoy nach.
    Die Affen umzingeln Tsinoy und geben ihr das Zeichen, sich der Luke zuzuwenden, die sich inzwischen zu unserer Rechten aufgetan hat. Wir versuchen, bei ihr zu bleiben, doch sehr viel energischer als zuvor halten die Affen uns zurück.
    Als Beschützerin der Babys, Überbringerin neuen Lebens und der neuen potenziellen Anführer ist Tsinoy den Affen willkommen. Aber nur sie. Offenbar sind die Affen der Ansicht, dass wir unsere Schuldigkeit für den Augenblick getan haben und sie auf uns verzichten können.
    »Was für ein Schlamassel«, murmele ich.
    »Amen«, erwidert Kim.
    Gelassen schwebt Tsinoy zur Luke hinüber. »Nur nicht voreilig urteilen. Oder allzu schnell resignieren«, sagt sie zu uns. Und zu den Affen: »Wie viele passen hier rein?«
    »Nur du steigst ein, mit den Babys. Niemand sonst!«, verkündet die Stimme.
    »Dann könnt ihr’s vergessen«, gibt Tsinoy zurück. »Ganz allein ist man in schlechter Gesellschaft. Und die Babys brauchen mehr als nur mich. Sie brauchen eine richtige Mutter, Freunde, Onkel, Beschützer – und einen richtigen Lehrer.«
    Die Affen wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Sie gestikulieren aufgeregt, sagen aber nichts.

    »Falls es eine Chance gibt, dass du’s auch ohne uns schaffst …«,
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