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Das Schicksal in Person

Das Schicksal in Person

Titel: Das Schicksal in Person
Autoren: Agatha Christie
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Hand und las es noch einmal aufmerksam durch.
    »Ich nehme an, Sie kennen die damit verbundenen Bedingungen?«, fragte sie.
    »Ja. Mr Rafiel hat mir den Inhalt persönlich diktiert.«
    »Und er hat es Ihnen nicht näher erklärt?«
    »Nein, bedauerlicherweise nicht. Aber Sie müssen sich natürlich nicht sofort entscheiden, ob Sie auf die Bedingungen eingehen.«
    »Das kann ich auch nicht«, sagte Miss Marple bestimmt. »Ich muss mir die Sache erst durch den Kopf gehen lassen. Aber ich weiß wirklich nicht, warum Mr Rafiel gerade an mich gedacht hat. Er konnte sich doch denken, dass ich in den letzten ein oder zwei Jahren auch nicht kräftiger oder beweglicher geworden bin, ich bin ja wirklich nicht mehr die Jüngste. Das war ein Risiko. Es gibt sicher Leute, die viel besser geeignet wären, so einen Auftrag zu übernehmen.«
    »Offen gestanden ja«, gab Mr Broadribb zu, »doch er hat ausdrücklich an Sie gedacht. Entschuldigen Sie eine neugierige Frage, aber haben Sie mal – wie soll ich mich ausdrücken – mit einem Verbrechen, mit der Aufklärung eines Verbrechens zu tun gehabt?«
    »Genau genommen nicht«, sagte Miss Marple. »Jedenfalls nicht beruflich. Ich habe nichts mit der Polizei oder mit einer Detektivagentur zu tun. Aber damals, als ich Mr Rafiel kennen lernte, wurden wir tatsächlich in ein Verbrechen verwickelt. Ein sehr merkwürdiger und erstaunlicher Mordfall. Es gelang uns, einen zweiten Mord zu verhindern.«
    Broadribb schaute die alte Dame aufmerksam an. »Noch eine Frage, Miss Marple. Sagt Ihnen das Wort ›Nemesis‹ etwas?«
    »Nemesis«, wiederholte Miss Marple und lächelte ganz unerwartet. »Ja, das sagt mir schon etwas, vor allem im Zusammenhang mit Mr Rafiel. Es hat ihn nämlich damals sehr amüsiert, dass ich mich selbst so nannte.«
    Broadribb war überrascht. Das hatte er nicht erwartet. Er schaute Miss Marple erstaunt an. Eine nette und recht intelligente alte Dame – aber Nemesis?
    »Ich nehme an, Sie sind auch seiner Ansicht«, sagte sie und stand auf. »Falls Sie vielleicht doch noch Anweisungen in dieser Angelegenheit bekommen, Mr Broadribb, wäre ich sehr froh, wenn Sie es mich wissen ließen. Es ist mir nämlich unverständlich, dass Mr Rafiel mir nicht den geringsten Anhaltspunkt über meine Aufgabe gegeben hat. Irgendeinen Hinweis müsste ich noch bekommen.«
    »Sie haben seine Familie nicht gekannt oder seine Freunde?«, fragte Broadribb, als er sie zur Tür brachte.
    »Nein. Ich sagte Ihnen ja schon, dass es nur gewisse Umstände waren, wodurch ich ihn etwas näher kennen lernte. Im Übrigen war er ein Mitreisender, nichts anderes.«
    Miss Marple verabschiedete sich von Broadribb und war sehr nachdenklich, als sie die Anwaltskanzlei verließ.
     
    Am Abend saß Miss Marple in ihrem steifen Lehnstuhl vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte, denn es war plötzlich sehr kalt geworden. Noch einmal zog sie das Dokument aus dem länglichen Kuvert, das ihr an diesem Morgen übergeben worden war. Immer noch ungläubig, las sie den Text durch und sagte einige Worte halblaut vor sich hin, um sie sich besser einzuprägen.
     
    An Miss Jane Marple, wohnhaft in St. Mary Mead.
    Dieser Brief wird Ihnen nach meinem Tod durch meinen Anwalt, James Broadribb, ausgehändigt, der alle privaten Rechtsangel e genheiten für mich erledigt. Er ist ein zuverlässiger und vertra u enswürdiger Mann. Wie fast alle Angehörigen des Menscheng e schlechts ist er jedoch nicht frei von Neugierde. Ich habe seine Neugierde nicht befriedigt. In mancher Hinsicht wird diese Ang e legenheit nur unter uns bleiben. Unser Kennwort, meine liebe Miss Marple, ist Nemesis. Sicher haben Sie nicht vergessen, an welchem Ort und unter welchen Umständen Sie dieses Wort zum ersten Mal zu mir gesagt haben. Im Laufe meines Geschäftsl e bens habe ich eine wichtige Erfahrung gemacht. Die Leute, die ich anstellte, mussten einen guten Instinkt haben. Einen Instinkt für die Aufgabe, die ich ihnen zugedacht hatte. Das hat weder etwas mit Wissen noch mit Erfahrung zu tun. Instinkt ist etwas ganz anderes. Eine natürliche Begabung – ein Flair – für eine ganz bestimmte Aufgabe.
    Sie, meine Liebe, haben einen natürlichen Instinkt für Gerechti g keit, und das wieder hat dazu geführt, dass Sie einen natürlichen Instinkt für das Verbrechen haben. Ich möchte Sie bitten, ein ganz bestimmtes Verbrechen aufzudecken. Ich habe eine gewisse Summe bereitstellen lassen, die Sie erhalten, wenn Sie auf meine Bitte eingehen und
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