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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir
Autoren: Hanif Kureishi
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los ist, lese ich diese Bücher, die es heutzutage gibt. Ich würde nicht im Traum daran denken, sie zu kaufen, aber die Verlage schicken sie mir, und darin geht es nur um Sex. Und zwar um perverse Abarten, mein Freund, mit Transvestiten und so weiter, mit Leuten, die sich gegenseitig bepinkeln oder militärische Kluft tragen und so tun, als wären sie serbische Freischärler oder S chlimmeres. Du glaubst ja nicht, was diese Leute da treiben. Aber tun sie das wirklich? Na, das wirst du mir bestimmt nicht verraten.«
    »Sie tun das, wirklich, das tun sie«, sagte ich und lachte leise.
    »O mein Gott. Was ich brauche«, sagte er, »ist ein bisschen Dope. Früher habe ich geraucht, aber ich habe aufgehört. Mit den Lastern sind auch meine Freuden verschwunden. Ich kann nicht schlafen, und ich habe die Schnauze voll von diesen Pillen. Kannst du mir nicht etwas besorgen?«
    »Henry, ich muss nicht unbedingt Dealer werden - ich habe einen Beruf.«
    »Weiß ich, weiß ich ... Aber ...«
    Ich lächelte und sagte: »Na, los, drehen wir eine Runde.«
    Wir gingen gemeinsam die Straße hinauf, er einen Kopf größer als ich und dreimal so breit. Mit meinen raspelkurz geschnittenen Haaren, dem Sakko und dem Hemd sah ich aus wie ein braver Angestellter. Henry schlurfte im schlabberigen T-Shirt dahin. Er wirkte stets, als wäre alles an ihm lose und locker. Unterwegs schien er seine Einzelteile zu verlieren. Er trug keine Socken in den Schuhen und heute ausnahmsweise keine Shorts. Mit den Büchern unter den Armen -bosnische Romane, die Tagebücher polnischer Theaterregisseure, amerikanische Lyriker und Zeitungen, die er in der Holland Park Avenue gekauft hatte, Le Monde, Corriere della Sera, El Pais - kehrte er zu seiner Wohnung am Fluss zurück.
    Henry, der seine eigene Atmosphäre mit sich herumtrug, wuchtete sich durch sein Viertel, als wäre es ein Dorf - er war in einem Weiler in Suffolk aufgewachsen -, rief quer über die Straße immer wieder Leuten etwas zu und stellte sich oft zu ihnen, um über Politik und Kunst zu diskutieren. Das Problem, dass in London offenbar kaum noch jemand flüssig Englisch sprach, löste er, indem er die jeweiligen Sprachen lernte. »In diesem Viertel kommt man nur noch zurecht, wenn man Polnisch kann«, verkündete er kürzlich. Er sprach auch genug Bosnisch, Tschechisch und Portugiesisch, um sich ohne Gebrüll in den Geschäften und Bars verständlich machen zu können, und außerdem beherrschte er noch einige andere europäische Sprachen, sodass er sich in seiner eigenen Stadt bewegen konnte, ohne sich ausgegrenzt zu fühlen.
    Ich habe mein ganzes Erwachsenenleben auf der gleichen Seite des A to Z verbracht. In der Mittagszeit laufe ich wie alle anderen Arbeitstätigen zweimal um die Tennisplätze. Ich habe einmal gehört, wie jemand diese Gegend zwischen Hammersmith und Shepherd's Bush als »einen von Elend umringten Kreisverkehr« beschrieb. Ein anderer schlug Bogota als Partnerstadt vor; Henry bezeichnete die Gegend als »großartige nahöstliche Stadt«. Mit Sicherheit ist es dort immer »eisig« gewesen: Im siebzehnten Jahrhundert wurden die Leichen derer, die man in Tyburn, bei Marble Arch, gehängt hatte, nach Shepherd's Bush Green gebracht und dort zur Schau gestellt.
    Inzwischen war die Gegend eine Mischung aus ziemlich reichen und armen Leuten, diese meist frisch eingetroffene Immigranten aus Polen und dem muslimischen Afrika. Die Wohlhabenden lebten in fünfstöckigen Häusern, die noch schmaler wirkten als die georgianischen Häuser in North London. Die Armen lebten in den gleichen Häusern, nur dass man diese in Einzelzimmer aufgeteilt hatte, und sie stellten Turnschuhe und Milch auf die Fensterbank.
    Die neuen Immigranten, die ihren Besitz in Plastiktüten mit sich führten, schliefen oft im Park, und nachts durchstöberten sie gemeinsam mit den Füchsen die Mülleimer nach Essen. Alkoholiker und Spinner stritten und bettelten ständig auf der Straße. An den Ecken warteten Drogendealer auf Fahrrädern. Es eröffneten immer mehr Delis, Grundstücksmakler, Restaurants und außerdem Schönheitsstudios, für mich ein positives Signal, das darauf hindeutete, dass die Preise für Häuser stiegen.
    Wenn ich etwas mehr Zeit hatte, ging ich bis zum Shepherd's Bush Market. Dort parkten reihenweise Autos mit Chauffeur neben der Goldhawk Road Station. Nahöstliche Frauen im Hijab kauften auf diesem Markt ein, wo man dicke Rollen bunter Stoffe, Krokodillederschuhe, kratzige Unterwäsche und
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