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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir
Autoren: Hanif Kureishi
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Tasche und legte sie ein. Ausgerechnet mexikanischer Hip-Hop. Sam, Henrys Sohn, nahm Musik für ihn auf, Henry brachte sie vorbei, und Rafi und ich hörten sie dann gemeinsam. (»Dad, was ist eine >Ho    Miriam wohnte in einem rauen, mehrheitlich weißen Viertel in einer Gegend, die früher Middlesex geheißen hatte - vor kurzem zu Großbritanniens unbeliebtester Grafschaft erkoren -, obwohl London allmählich alles schluckte. Der Schmutz der Stadt breitete sich immer weiter aus.
    Typische Gestalten auf der Straße waren junge Männer mit grüner Bomberjacke, Jeans und auf Hochglanz polierten Stiefeln, gefolgt von spärlich bekleideten Teenagern mit straff nach hinten gebundenem Haar (»Croydon-Face-Lift« genannt), die einen Kinderwagen schoben. Außerdem hingen dort mürrische Mädchen in Micro-Minis herum, umschwirrt von Jungs auf Fahrrädern, die Alkopops mit Wodka tranken und die Flaschen in die Gärten warfen. Zwischen all diesen Saufnasen, Schuldnern und Fettklößen waren muslimische Frauen mit Kopftuch unterwegs, die eilig ihre Kinder hinter sich herzogen.
    Vor Miriams einzeln stehendem Sozialbau drückte Rafi auf die Hupe. Eines ihrer hilfsbereiten Kinder schoss heraus und fuhr das Auto weg, sodass ich vorne auf dem Hof parken konnte, direkt neben den zwei verkohlten Armsesseln, die schon seit einem Vierteljahr dort standen.
    Sie hatte, glaube ich, fünf Kinder von drei Männern. Oder waren es drei Kinder von fünf Männern? Ich war nicht der Einzige, der den Überblick verloren hatte. Immerhin wusste ich, dass die beiden Ältesten nicht mehr zu Hause wohnten: Das Mädchen war bei der Feuerwehr, und der Junge arbeitete in einem Übungsstudio für Bands. Beide hatten ihr Leben im Griff. Nach dem Wahnsinn ihrer Kindheit und Jugend hatte sich Miriam ganz der Aufgabe verschrieben, ihre Kinder großzuziehen, und sie war stolz darauf, es geschafft zu haben.
    Die Gegend war von Gangs verseucht, und rechte politische Parteien fanden viel Unterstützung. Sie hatten die Muslime im Visier, die sie häufig auf der Straße überfielen und deren Schicksal vor allem von den Nachrichten des jeweiligen Tages abhing. Wenn ein Kandidat der Rechten irgendwo in der Nähe von Miriams Haus Wahlwerbung für sich zu machen versuchte, sprang sie von ihrem Stuhl, rannte vor die Tür und schrie: »Ich bin eine alleinerziehende Muslim-Mutter und eine durchgeknallte Paki-Schlampe! Wenn jemand was dagegen hat, soll er das sagen!« Dabei schwang sie einen Kricketschläger über dem Kopf, und ihre Kinder und Bushy, ihr »Assistent«, versuchten, sie wieder ins Haus zu zerren.
    Doch mit Miriam mochte sich niemand anlegen. Sie hatte sich die Achtung der Leute erworben, oft sogar ihre Zuneigung. Heute klingt das vielleicht schräg, doch als Teenager war sie ein Hell's Angel. Diese Phase dauerte, wenn ich mich nicht irre, nur einen guten Monat, weil sie bald zu der Einsicht gelangte, dass großspurige Jungs aus Kent
    eigentlich zu brav für sie waren. »Muskelpakete in Lederkluft«, nannte sie diese Typen. »Keine echten Biker.« Kein Wunder, dass ich ein Intellektueller wurde.
    Außerdem trug sie im Pub vor Ort Faustkämpfe aus, sowohl mit Männern als auch mit Frauen. »Wenn ich stinksauer bin, geht es mir am besten«, erklärte sie mir einmal. Sie wurde immer die Halbinderin oder die Halbidiotin genannt. Die Promenadenmischung. Damals wünschte ich mir regelmäßig, dass ihr mal jemand so richtig die Fresse polierte, weil ich hoffte, dass sie das in jemanden verwandeln
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