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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir
Autoren: Hanif Kureishi
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gesagt: >Hey, ist euch eigentlich klar, dass ihr nur so tut, als wärt ihr am Leben?<«
    Mum öffnete uns und lächelte begeistert als sie uns begrüßte. Sie bot uns die Wange zum Kuss dar. Obwohl sie gestand, ein wenig unsicher gegenüber Rafi und seiner »Pöbelei« zu sein - er war allerdings immer höflich zu ihr -, freute ich mich, sie zu sehen. Neuerdings hatte ich immer das Gefühl, eine Frau vor mir zu haben, die ich zwar gut kannte, mit der ich aber fast nichts mehr gemeinsam hatte - ja, in deren Gegenwart ich mich nicht ganz wohl in meiner Haut fühlte. Ein Gefühl, das ich inzwischen auch bei Josephine hatte.
    »Du hast deine Kinder nie sehr gemocht, Mum, oder?«, fragte ich.
    »Man tut alles für sie«, antwortete sie, »und wenn sie dann erwachsen sind, rennen sie sofort zum Psychiater und sagen ihm, wie sehr sie ihre Eltern hassen. Auf jeden Fall lehnen sie einen ab.«
    »Nicht doch.«
    »Ich dachte, du würdest Josephine mitbringen. Ich hätte gern mit ihr geredet«, sagte Mum.
    »Wirklich? Ich musste gerade an sie denken. Warum erzählst du mir das?«
    »Ich mag sie.«
    »Im Ernst?«, erwiderte ich, als sie mich ins Haus führte. »Im Vergleich mit all deinen anderen Frauen war sie sehr in Ordnung. Bringst du sie mal mit?«
    »Sie hat jetzt einen anderen.«
    »Ach, mach dir deswegen keine Sorgen. Schick ihn einfach weg.«
    Miriam war schon eingetroffen, und wir freuten uns über das Wiedersehen. Sie sah sich so panisch im Haus um, als könnte sie nicht begreifen, warum sich ihre Kindheit so plötzlich in Luft aufgelöst hatte. Da sie offenbar immer noch befürchtete, man könnte ihr alle Fehler und Vergehen vorhalten, blieb Mum für sie eine Quelle von Verstörung und Wut. Doch Mum, schon leicht beschwipst, strahlte jeden mit einem offenen, gütigen Zen-Blick an, auch Miriam, die sich an Henrys Arm klammerte.
    Seit kurzem verbrachte Miriam mehr Zeit bei Henry, und sie überlegten sogar, ein Cottage auf dem Land zu mieten. Henry arbeitete mit frischer Konzentration und Ausdauer und versuchte, Don Giovanni mit der neuen Kultur des Konsums und der Berühmtheiten in Beziehung zu setzen, die ihre negative Entsprechung in einer bösartigen, zynischen Mordlust fand. Er war zu der Einsicht gelangt, dass die Lösung nur darin bestehen konnte, die Welt neu zu erschaffen, obwohl jene Politiker, die er früher unterstützt hatte, gerade dabei waren, sie zu zerstören.
    Als wir mit unseren Champagnergläsern in den Garten schlenderten, konnte ich zwischen den Bäumen und Sträuchern das schöne, neue, aus Kiefernholz und Glas erbaute Atelier sehen. Alan war schon dort, und Karen bückte sich, um ihn zu umarmen. Sie musste weinen.
    Der in einem Rollstuhl sitzende und in mehrere Decken gehüllte Alan wirkte noch zerbrechlicher als sie. Da er seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte, war er erschöpft. Als ehemaliger Junkie war er überzeugt, dass die Medikamente, die man ihm verschrieben hatte, keine Wirkung auf seinen zerstörten Körper hatten. Er schien in ein nebeliges Universum zu starren. »London wimmelt von tickenden Bomben«, murmelte er, als er meine Hand ergriff. »Und ich bin eine davon. Für mich kann es nur einen schwulen Tod geben.«
    Alans Magerkeit überraschte mich nicht, doch Mustaq, sonst immer schlank und manikürt, wirkte übergewichtig, launisch und verwahrlost. Er schien entschlossen zu sein, gemeinsam mit seinem Freund den ganzen Weg bis zur Tür des Todes zu gehen. Falls Alan nicht vorher sterben sollte, wollten sie in ein paar Monaten heiraten, weil dann das Gesetz in Kraft trat, das »gleichgeschlechtliche Ehen« erlaubte.
    Mustaq streichelte und küsste Alan die ganze Zeit. Dann wieder stand er wie im Traum neben ihm, starrte mich an und schien erfolgreich meine Paranoia zu orten. Sein Interesse erwachte erst, als Rafi in den Garten kam - er wollte wissen, welche Musik der Junge auf dem iPod hörte.
    Da noch nicht alle Freunde von Mum und Billie eingetroffen waren, küsste ich Ajita und ergriff sie beim Arm. »Lass uns kurz verschwinden. Ich muss mir gemeinsam mit dir etwas anschauen.«
    Die Fahrt dauerte nicht lange, und schließlich standen wir vor dem Haus, in dem Miriam und ich aufgewachsen waren. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Ajita mich nur zweimal dort besucht und Mum ein paar Tupperdosen mit dem »ganz speziellen« Dal und Aloo dagelassen. Das Haus war kaum wiederzuerkennen, denn man hatte viele neue Zimmer angebaut, und auf der Veranda standen Kinderfahrräder und
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