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Das sag ich dir

Das sag ich dir

Titel: Das sag ich dir
Autoren: Hanif Kureishi
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vorsichtshalber darauf hingewiesen, dass er gefährlich sei. Trotzdem hast du gehandelt. Du warst tapfer, du warst verwegen, du warst jung. Bereust du es?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber ich! Ich hätte Vater mit der Polizei drohen sollen. Ich hätte ihn irgendwie niederschlagen können! Ich hätte dich und euch auf keinen Fall in diese Situation bringen dürfen. Ich war schwach, aber ihr habt das getan, was ich nicht tun konnte, und wie soll ich euch dafür bestrafen, dass ihr euer Leben aufs Spiel gesetzt habt, um mir zu helfen? Dad war früher Ringkämpfer, und gelegentlich hat er Leute verprügeln lassen. Wenn ich Bilder des im Gefängnis sitzenden Saddam Hussein sehe, denke ich immer, dass Dad im Alter genauso ausgesehen hätte.«
    »Wenn ich das damals gewusst hätte, wäre ich vorsichtiger gewesen.«
    »Wie kann ich mich nur bei dir entschuldigen oder die Sache wiedergutmachen, Jamal? Können wir Freunde sein? Du hasst mich doch nicht, oder? Du warst so abweisend zu mir, als wir uns bei meinem Bruder wiedergetroffen haben. Ich war irrsinnig froh über unser Wiedersehen, aber du warst so abweisend.«
    »Ich war ziemlich nervös«, sagte ich. »Ich wusste nicht, ob du mir noch etwas bedeutest - und wenn, wie viel.«
    »Die Erleichterung darüber, dass ich dir nicht mehr viel bedeute, stand dir ins Gesicht geschrieben. Kaum etwas in meinem Leben hat mich so tief verletzt, Jamal. Ich habe Wolf immer wieder gefragt: >Warum ist er so kalt?<«
    »Ist das nicht unfair gegenüber Mustaq?«, fragte ich. »Soll er als Einziger ahnungslos bleiben? Wird er es nie erfahren?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er es nie erfahren wird. Warten wir ab, hm?« Nach einer Weile sagte sie: »Weißt du, was ich immer wollte, während Dad mich missbraucht hat? Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, dass wir beide, du und ich, durchbrennen würden. Mit dem Zug irgendwohin fahren, uns ein Zimmer suchen und in Bars oder Buchläden jobben. Wir wären nie zurückgekehrt, sondern hätten geheiratet und Kinder bekommen. Hättest du mitgemacht?«
    »Ja«, sagte ich.
    Doch ich dachte bei mir: Ein Mord verfolgt einen bis ans Lebensende. Eine solche Tat kann man weder verarbeiten noch vergessen; man kann sie nicht abhaken.
    Wir waren ins Haus zurückgekehrt, Die Angestellten putzten gerade, und wir gingen unten in ein kleines Wohnzimmer, in dem mir irgendetwas vertraut vorkam. Doch das Gefühl war so vage, dass ich es anfangs nicht einordnen konnte.
    »Was ist denn?«, fragte Ajita und sah mich an.
    »Da ist es ja!«, sagte ich. Es war der Ingwer, er lehnte auf einem Tisch an der Wand. »Endlich. Wie kommt das Bild hierher?«
    »Warum fragst du das?«
    »Diese wunderbare Zeichnung gehört Henrys Frau - Valerie.« »Sie wurde mir geschenkt«, erwiderte sie. »Von Wolf?«
    »Ja. Ein wunderbares Bild. Ich möchte es nie aus den Augen verlieren. Ich stelle es hier im Haus immer dorthin, wo ich mich gerade aufhalte, damit ich es sehen kann.«
    »Ich fürchte, er hatte kein Recht, das Bild zu verschenken«, sagte ich und schob es in meine Tasche. Es passte nicht ganz hinein, und ich würde es später in eine Plastiktüte verpacken müssen.
    »Das Schönste, was er mir je geschenkt hat, soll gestohlen sein?«, fragte sie. Sie ging zu meiner Tasche und zog das Bild heraus. Ich konnte ihr ansehen, dass sie es gern zertrümmert hätte.
    »Keine gute Idee«, sagte ich, entwand ihr die Zeichnung und steckte sie wieder ein. Ich sah uns das Meisterwerk schon in Stücke reißen.
    »Wie kannst du mir das antun?«, schrie sie mir von der Haustür aus nach. »Immer raubst du mir etwas!«
    In der Dean Street stieg ich in ein Taxi und fuhr zu Valerie. Dort öffnete mir eine adrett kostümierte Hausangestellte. Die Eingangshalle des Hauses wimmelte von Gästen in eleganter Kleidung.
    Ich stellte meine Tasche ab, nahm mir ein Glas Champagner von einem Tablett und ging, den Ingwer unter dem Arm, nach oben zu den anderen. Offensichtlich handelte es sich bei den Dinnergästen um Filmleute, Literaten und Politiker mit ihren jeweiligen Gatten und Gattinnen. Valerie zeigte weder Erstaunen über mich noch über die Zeichnung. Sie nahm mir das Bild ab und stellte es unter einen Seitentisch. Dann lud sie mich zum Essen ein.
    Bevor ich mich setzen konnte, wollte sie mich allerdings noch etwas fragen. Ich stöhnte insgeheim auf, aber da sie alle Hände voll zu tun hatte, konnte es wohl nicht lange dauern.
    Als wir gemeinsam in einer Ecke der Küche standen, fragte sie: »Du
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