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Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus
Autoren: Sarah Harvey
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Mit geschmeidigen, schwungvollen und doch präzisen Bewegungen flog
seine Hand über das Papier.
    Unbemerkt zog Lily sich zurück und schlich die Treppe hinauf ins
Schlafzimmer. Sie kletterte wieder in das große, leere Bett, starrte blicklos
an die weiße Decke und blinzelte verzweifelt die aufsteigenden Tränen weg. Sie
hatte schon viel geweint. Viel zu viel. Sie hasste dieses für alle sichtbare
Zeichen der Schwäche, des Selbstmitleids und der mangelnden Selbstbeherrschung.
Sie kniff die Augen zu, um sie jeder Funktion zu berauben und doch noch in den
erlösenden Schlaf zu finden.

    Um Viertel nach sieben weckte sie der Ruf einer in der
Nähe des Hauses kreisenden Möwe. Sie war immer noch allein im Bett. Liams Seite
war unberührt.
    Es war ein klarer Wintermorgen, der erste Morgen überhaupt, an dem
es nicht regnete oder schneite. Ein weiches Licht erfüllte den kalkweißen Raum.
    Mit einem eher sarkastischen denn fröhlichen Lächeln fragte sie
sich, ob es sich dabei tatsächlich um Sonnenschein handeln konnte?
    Lily stand auf und ging zum Fenster hinüber. Sie stützte sich auf
dem kalten Holzrahmen ab und sah hinaus. Statt des üblichen aufgewühlten,
grauen Meeres, das nahtlos in einen wolkenverhangenen, grauen Himmel überging,
begrüßte sie heute tatsächlich die Sonne, zwar schwach und blass und noch halb
versteckt, aber doch die Sonne. Und sie ließ das sonst so triste Meer glitzern.
    Der Anblick rief ein weiteres, echtes Lächeln hervor sowie das
Gefühl, es der Natur gleichmachen und die düstere Stimmung ablegen zu können.
    Sie sprang unter die Dusche, zog sich dann eine alte Jeans und einen
Wollpullover an und ging hinunter.
    Liam war immer noch in seinem Arbeitszimmer, allerdings saß er jetzt
nicht mehr auf dem Holzstuhl vor seinem Zeichenbrett, sondern war auf dem
schwarzen Ledersofa, das an der Wand gegenüber der Tür stand, eingeschlummert.
Er hatte es sich mit einem Buch mit Architekturfotografien auf dem Schoß bequem
gemacht. Sein Finger lag auf dem Kuppeldach der Rotunde des Tempietto San
Pietro in Rom.
    Sein schlafendes Gesicht war so friedlich. Er hatte die Lippen
leicht geöffnet und atmete regelmäßig und ruhig. Lily beugte sich zu ihm und
küsste ihn sachte auf die Stirn. Er bewegte sich zwar ein wenig, wachte aber
nicht auf.
    Sie beobachtete ihn eine Weile, während sie ihre tiefe Liebe und
ihre Sehnsucht im Herzen spürte, sowie einen Anflug von Sentimentalität. Dann
schüttelte sie den Kopf, wie um die ernsten Gedanken abzuschütteln, und
marschierte barfuß in die Küche, wo sie starken, schwarzen Kaffee aufsetzte.
    Als die ersten braunen Tropfen in die Kanne fielen, hörte Lily Liam
die Treppe hinaufgehen. Kurz darauf erwachte der Boiler zum zweiten Mal an
diesem Morgen zum Leben, um nun Liam heißes Duschwasser zu bescheren.
    Während sie auf ihn wartete, schenkte sie sich ein Glas Wasser ein
und betrachtete die kleine Terrasse hinter dem Haus. Wenn das in ein paar
Monaten ihr Garten sein sollte, musste noch so einiges passieren. Zwei
steinerne Hochbeete quollen über mit den verwilderten, vertrockneten Überresten
einst üppiger Pflanzen. Moos und Seegras wucherten zwischen den
Terrassenfliesen. Ein großer, alter Terrakottakübel war umgestürzt, sodass das
Wrack eines unidentifizierbaren Zierbaumes am Boden lag wie eine Leiche, um die
noch Kreideumrisse gezeichnet werden müssen.
    Ein alter schmiedeeiserner Tisch und vier Stühle standen in der
hinteren linken Ecke an den Felsen gelehnt und rosteten vor sich hin. Rechts
davon war die marode Trockenmauer inklusive eines ebenfalls rostigen
Eisentörchens, das in den Bereich führte, der einmal der Rosengarten gewesen
war und heute einer wilden Dornenhecke glich.
    Heruntergekommen war gar kein Ausdruck. Aber man konnte was draus
machen.
    Lily trank einen Schluck Wasser und beschloss, sich heute endlich an
die Arbeit zu machen, sollte das gute Wetter sich halten. Seit sie an jenem
kalten Januartag hier angekommen waren, hatte sie sich das fest vorgenommen.
    Nach nur zehn Minuten stand Liam fast fertig angezogen in der Küche.
Sein Hemd war noch offen, und die Ringe unter den Augen verrieten, dass er
nicht genug geschlafen hatte. Er lächelte Lily dankbar an, als sie ihm eine
Tasse Kaffee reichte, und stellte sie zunächst auf den Küchentisch, um sich das
Hemd zuzuknöpfen und sich die blaue Seidenkrawatte zu binden.
    Die Farbe passte exakt zu seinen Augen – Sommerhimmelblau. Lily
wusste noch genau, wann und wo sie den
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