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Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus
Autoren: Sarah Harvey
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leicht, doch dann in großen, weißen Flocken, als
schüttelte Frau Holle ihr Federbett aus. Lily blickte zum dunklen Himmel
hinauf, und in null Komma nichts waren Haut und Haare klitschnass.
    Liam stieg aus seinem Auto und wandte wie Lily den Blick gen Himmel.
    »Peter hat doch behauptet, es würde hier so gut wie nie schneien.«
Er ging zu Lily, schauderte und stellte den Mantelkragen auf.
    Auch Lily schauderte. Das frostige Gefühl, das in ihr hochkroch,
hatte allerdings nichts mit dem Wetter zu tun. Liam wandte sich ihr zu und
streckte ihr mit einem Lächeln die Hand entgegen, von dem ihr wenigstens ein
kleines bisschen warm ums Herz wurde.

 

    4
    D er Hagel
prasselte gegen das Schlafzimmerfenster und riss Lily aus ihrem unruhigen
Schlaf. Als sie schließlich die Augen öffnete, war der Schauer vorbei, der Mond
lugte zwischen den Wolken hervor und schien ungehindert herein.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lily zu sich kam.
    Sie seufzte.
    Vier, fünf Mal wachte sie jede Woche nachts auf, und fast jedes Mal
fühlte sie sich ganz allein in diesem totenstillen, riesigen alten Haus. Noch
immer schien ihr alles fremd hier.
    Sie tastete neben sich. Liams Seite des Bettes war leer. Wieder
einmal. Enttäuschung und Angst stiegen in ihr auf, doch sie wollte sie
unterdrücken. Sie legte den Kopf in die Kuhle in ihrem Kissen, schloss erneut
die Augen und wollte sich zwingen, einzuschlafen. Ihr Körper war schwer wie
Blei, auch ihr Geist war müde, und doch rasten ihr unzählige Gedanken durch den
Kopf, wie Autos über eine Autobahn. Laut, störend und schädlich.
    Nach einer halben Stunde gab sie es auf und sah auf die Uhr, die auf
einem Stapel ungelesener Bücher neben dem großen, alten Holzbett stand, das
einst ihrer Mutter gehört hatte.
    Es war zwei Uhr.
    Lily schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Es
war so kühl im Zimmer, dass sie sofort eine Gänsehaut bekam.
    Zitternd schlüpfte sie in ihren Morgenmantel, zog ihn fest um ihren
Körper und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
    Sie kämpfte mit sich.
    Ich werde nicht nach unten gehen.
    Ich werde nicht zu ihm gehen.
    Sie wusste aus Erfahrung, dass es pure Zeit- und
Energieverschwendung wäre, zu Liam hinzugehen und ihn zu bitten, ins Bett zu
kommen.
    So lief es, seit Liam sie überzeugt hatte, in diesen gottverlassenen
Teil Cornwalls zu ziehen, in dem das raue Klima der einzige ständige Begleiter
war: Liam arbeitete rund um die Uhr.
    Sie hatte ihn in letzter Zeit schon so oft gebeten, es etwas ruhiger
anzugehen, mal Pause zu machen, sich zwischendurch auszuruhen – vergeblich.
Wann immer sie ihn aufforderte, Feierabend zu machen, versicherte er ihr, dass
er bald kommen würde. Log er absichtlich? Denn er kam so gut wie nie. Und doch
ging sie immer wieder zu ihm hin, in der Hoffnung, dass seine mechanische
Antwort sich doch einmal ändern würde. Dass er sie hinauf in das immer noch
fremde Schlafzimmer begleiten, sich zu ihr legen und sie in den Arm nehmen
würde, bis sie sich wieder nahe waren.
    Bis sie gemeinsam eingeschlafen waren.
    Er brauchte doch so dringend etwas mehr Schlaf.
    Die Fußbodenbretter fühlten sich kalt an, als sie barfuß in den Flur
trat. In dem alten Haus war es seltsam still, sie konnte ihren eigenen Atem und
ihre leisen Schritte überdeutlich hören.
    Langsam ging sie die breite Eichentreppe in der Mitte des Hauses
hinunter, wobei sie die Hand über das hölzerne Geländer gleiten ließ.
    In einem der großen Räume mit Erker und Meerblick befand sich Liams
Arbeitszimmer.
    Durch die halboffene Tür fiel Licht.
    Lily zögerte, sie zu öffnen.
    Durch den Spalt konnte sie sehen, wie er an seinem Zeichentisch im
Erker saß, in der Hand einen Bleistift. Er dachte nach, rieb sich die Augen.
    Seit Liam Teilhaber in Peters Firma war, seit sie von London in den
äußersten Winkel Englands gezogen waren, hatte er jedes Zeitgefühl verloren.
Zeit, die er früher Lily gewidmet hatte, kam jetzt seiner neuen Leidenschaft
zugute, die längst zur Obsession geworden war: jenem riesigen Gebäude, für
dessen Gestaltung er entscheidend verantwortlich zeichnete. Jenem gigantischen
Geschöpf, von dem er sich mit Haut und Haaren verschlingen ließ.
    Als er auf die Uhr sah, keimte Hoffnung in Lily auf.
    Wenn er jetzt bemerkte, wie spät es war, würde er sicher sofort
einsehen, dass er nicht da war, wo er hingehörte, und sofort ins Bett gehen, zu
ihr. Aber er beugte sich erneut über den weißen Zeichentisch, um seine Arbeit
aufzunehmen.
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