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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verschiedenste Gedanken ab: Fachwissen, eigene Erfahrung, Worte, Berichte von Kollegen, Informationssplitter, Operationsbilder – und vor allem Zweifel, Zweifel, Zweifel …
    Den Arm abtrennen? Was für ein Eingriff in dieser Situation! Obwohl – machbar wäre es.
    Was jetzt? – Ruhe vor allem, Junge! Nur Ruhe. Nicht auf den Sturm hören, den Atem beruhigen, dich ganz auf die Situation konzentrieren … Und dann handeln. Was bleibt schon anderes?
    ***
    »Hendrik! Das war überhaupt kein kräftiger Kerl. Der Mann war über siebzig. Und soll ich dir noch was sagen? Seit über drei Tagen lag der ganz allein, ohne einen Tropfen zu trinken, in diesem verdammten, zerschossenen Afghanen-Bunker verschüttet.
    Ihn rauskriegen? Fehlanzeige. Unmöglich … Ich konnte nur eines: ihm den Arm durchtrennen. Und du wirst lachen: Er hat überlebt.«
    Das zum Beispiel als Beweis, daß es geht. Und Otto Redwitz, dieses alte Chirurgen-Schlachtroß von MSF-Kämpfer, hatte nie geflunkert. Immer war Redwitz an Orten gewesen, wo es Leute portionsweise rauszuschneiden gab. Und das noch unter Beschuß. Manche hatten überlebt – Manche …
    Erneut brachte er sein Gesicht ganz nah an Rons, als könne er ihn durch seine Gedanken zwingen, ihm zu folgen: Du auch! Du auch, verdammt, Ron. Was ist schon ein Arm? Du hast zwei …
    Jemand stieß ihn am Rücken, wollte ihn wegdrängen – Tama.
    »Er ist tot.«
    »Nein, er ist nicht tot, verdammt noch mal!«
    Da war auch Antau.
    »Antau, schieb mal die Tasche her. Und Tama, mach sie auf. Hör auf zu flennen! Paß auf, in der Tasche ist ein graues Band. Eine Staupresse zum Aufpumpen. Siehst du sie?«
    »Ja.«
    »Dann gib sie her. Nein, leg sie bereit.«
    Er mußte Rons Kreislauf schonen, solange es irgendwie ging. Das war der schwächste Punkt.
    Wieder betete Hendrik es sich vor: Redwitz' Afghane hat überlebt … Alles. Selbst den Durst. Und eine Infusion hatte Redwitz nicht dabei gehabt. Du hast sie. Eine zweihundertfünfziger Flasche ist zwar nicht viel, aber besser als gar nichts … Was weiter?
    Operationsfeld-Desinfektion? Entfällt. Sinnlos … Tetanusgeimpft ist er. Na, das wenigstens. Er hat es mir schon in Pangai gesagt. Kreislaufunterstützung? Heparin. Das hast du dabei … Ein weiteres Analgetikum für den Arm … Es darf nicht zu stark sein. Könnte Auswirkungen auf Atmung und Herz haben. Er ist ohnehin mit Dolantin vollgepumpt. Aber das hat er inzwischen ausgeschieden …
    Die Checkliste war durch. Und es war gut so, denn all die Überlegungen hatten bewirkt, daß er die Situation objektiv sah: Dies war kein OP-Saal, Ron lag auch auf keinem Tisch, Ron lag eingeklemmt unter einem Stamm. – Wenn schon … Sag dir einfach: Da ist kein Unterschied. Bet es dir vor! Vielleicht hilft's …
    »Die Taschenlampe, Tama. Hast du die Taschenlampe?«
    »Ja.«
    »Gib sie Afa. Er soll leuchten.«
    »Was willst du tun, Hendrik?«
    »Reich mir jetzt die Staubinde.«
    »Was willst du tun, Hendrik? Sag's!«
    »Und nun die Tasche.« – Seine Hand glitt hinein, fühlte die vertrauten Formen der Behälter, öffnete, strich über die Instrumente.
    »Die Antwort, Hendrik!«
    »Na, was schon?« Er fuhr herum. Und dann begann er zu brüllen, brüllte gegen den Sturm an: »Der Arm muß ab! Zerstört ist er sowieso! Diesen Arm flickt dir keiner mehr zusammen. Soll er daran verrecken? Los, die Staubinde!«
    Sie sah ihn nur an, und sein Gehirn betete schon wieder die Reihenfolge der Schritte herunter.
    Da war wieder Tamas Gesicht, waren Tamas Augen. Hendrik Merz kämpfte um ein Lächeln, um das berühmte, um Vertrauen bittende Arzt-Lächeln: »Glauben Sie doch, glauben Sie es mir, ist gar nicht so schwierig …«
    Dann war es damit vorbei. »Ich bring' ihn durch!« schrie er.
    Sie nickte.
    »Na also! Wär' ja noch schöner! Ron und abkratzen – das wollen wir doch mal sehen …«
    ***
    Zwei der alten Frauen waren in der Höhle zurückgeblieben. Der ewige Singsang ihrer Stimmen ließ ihn schläfrig werden. Doch es gehörte zum Fließen der Zeit, zum Fließen der Stunden und Tage und seiner Träume.
    Antau und Afa hatten ihm aus den Trümmern des Fales ein Bett gebaut. Es besaß einen soliden Rahmen und bequemes Flechtwerk. In den wachen Stunden sah Ron zu der feuchten Steindecke der Höhle hoch, die meist ein grünlich glimmernder Glanz bedeckte. ›Fly Wing‹, dachte er, ›Schwarzer Perlmutt‹, um dann das Wort sofort wieder zu vergessen …
    Hendrik Merz kam alle paar Stunden, wickelte Verbände auf, streute
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