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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war es genau die Antwort, die er sich von ihr erhofft hatte. Vielleicht wäre es das beste, sie an den Schultern zu nehmen und an sich zu ziehen. Ihr Blick hielt ihn davon ab.
    »Du sagst, daß Nomuka'ta das Tabu ausgesprochen hat, Tama. Doch Nomuka'ta ist tot! Es gibt keine Geister. Und es gibt keine Bannflüche. Für mich nicht! Nicht länger. Das ist Unsinn, Aberglaube! Wahnsinn ist das alles, hörst du?!«
    Er merkte, daß er weiterschrie und nahm sich zusammen: »Tama, hör zu … Nein: Wach auf!«
    Langsam schüttelte sie den Kopf. »Er ist nicht tot. Nomuka'ta war nie tot. Und die anderen auch nicht. Sie sind alle hier. – So wie die Haie.«
    Er schloß die Augen. Aus dem Dröhnen in seinem Kopf wurden nun Schmerzen, plötzliche, heftige, hämmernde Schmerzen. Er gab es auf, sich in diese Welt hineinzuversetzen, eine Welt der Dämonen und Geister, der Geister der Toten, der Ahnen, der Vorfahren. Geister, die alles wußten, die einen bei jedem Schritt und jeder Handlung belauerten, Geister, die beschützten – o ja, das auch – die Insel, diese Bucht, den Stamm und die Kinder … Verflucht viel zu tun hatten sie, die Geister.
    Und auch jetzt, natürlich, auch jetzt waren sie wieder da: Sie, die Geister der Männer, die dort unten in der Bucht gestorben waren. Aus der Perlenbucht war die Bucht der Toten geworden. Nein, die Bucht der Haie …
    Als er die Augen wieder öffnete, war Tama bereits zwischen den dunklen Felsbrocken verschwunden. Sie ging schnell. Nun war sie bereits unten an der Küste. Ihr rotbraunes Kleid leuchtete zu ihm hoch. Sehr verloren sah sie aus, wie sie dort kauerte, dicht am Wasser, reglos.
    Ron spürte, wie Zärtlichkeit in ihm hochstieg, eine süße und bittere Zärtlichkeit: Zu wem betet sie? Zu den Geistern, zu Onaha, der Göttin der Schildkröten, zu ihrem Bruder G'erenge, dem Gott der Haie und des Sturms? Oder sprach sie mit den Toten?
    Warum nur war sie ihm so fremd geworden?
    In ohnmächtiger Wut schlug sich Ron die Faust an die Stirn.
    ***
    Die Sonne, diese riesige, glühende Metallscheibe, begann hinter den Horizont zu versinken, und auch jetzt wieder war das Schauspiel von so grandioser Pracht, daß Ron den Atem anhielt.
    Der Himmel – eine Kuppel aus Gold von unerträglichem Glanz. Davor gewaltige, hochgetürmte Wolkenschiffe; purpurfarben, flamingorosa und violett segelten sie langsam nach Westen.
    Hoch oben, in den Senken und Tälern, die die drei stumpfen Bergkuppen der Vulkane bildeten, stürzten Wasserfälle in die Tiefe. Schleier umwehten die Baumkronen. Hier unten aber herrschte Fels: Vulkanfels in allen Formen und Farben. Manche Brocken erinnerten an vorzeitliche Götter oder Tierfiguren, andere wiederum an Säulen und Burgzinnen. Schwarz standen sie vor dem funkelnden Meer.
    Über dem zirkelklaren, wie mit einem Messer geschnittenen Horizont warf die Sonne ihre rotgoldenen Lanzen und sandte eine breite Lichtstraße zur Bucht, die sich nun mit einem tiefen Rot füllte.
    Rot. Purpurrot.
    Rot wie Wein. Nein, wie Blut …
    Laß es, dachte er. Nicht einmal denken solltest du es. Schalt ab. Vergiß!
    Er lehnte den Rücken gegen den harten Vulkanstein. Doch auch jetzt tauchten die Bilder wieder in ihm auf. Er sah den weißen Steven der ›Roi‹ an den beiden Felsen vor der Buchteinfahrt vorübergleiten, hörte die gedrosselten, schweren Motoren, und neben ihm schrie Nomuka'ta: »Da sind sie, die Fremden! – Und du wolltest es so, Ovaku …«
    Dann fiel der erste Schuß. Und dann schossen alle. Das Inferno begann …
    »Sie sind nie fortgegangen«, hatte Tama gesagt.
    Eine Stimme in ihm flüsterte wieder einmal die Namen der Toten in sein Bewußtsein: Fai'fa, Tamas Lieblingsbruder, der stolze, verschlossene Fai'fa. Von den Haien zerrissen. So wie Nomuka'ta. – Jack Willmore, mit dessen Hilfe er ein wenig Zivilisation auf die Insel bringen wollte, obwohl er ihn zuerst wie einen Gefangenen behandelt hatte. Jack, der beste Freund, den es je gab. Piero de Luca, der Pilot des Bord-Hubschraubers der ›Roi‹, die ganze Besatzung der ›Roi de Tahiti‹ … Pandelli, dem sie das ganze Grauen zu verdanken hatten und den es schon in der Luft erwischte, so daß die Monster-Haie nur noch seinen toten Körper zum Fraß bekamen.
    … du hast es so gewollt …
    Die Fremden, die ›Palangi‹, starben. Es waren die Haie, die die Macht in der Bucht übernahmen.
    Niemals wieder würde er mit Tama die Austernbänke dort unten abschwimmen, niemals wieder eine Perle finden, nie wieder
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