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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Was war mit den Menschen des Dorfes geschehen? – Was gingen ihn jetzt Geschichten von vergangenen Hurrikanen an?
    »Das ist kein großer Sturm«, rief Antau. »Und der ist schon alt. Du wirst sehen, bald wird er keine Kraft mehr haben.«
    Vielleicht war es kein großer Sturm – aber ihm reichte er …
    Es waren nur wenige Minuten vergangen, als das Heulen sich tatsächlich abschwächte. Dann aber, ganz so, als wäre hinter der Katastrophe ein unsichtbarer Regisseur am Werk, hellte der Himmel auf, der Regen ließ nach, aus Dunkel wurde Licht, und es gab nur noch ein einziges Geräusch: Das Rauschen und Gurgeln der Wasserströme, die sich ihren Weg zum Meer brachen …
    Die Nebelfront hatte sich vollkommen aufgelöst. Was zuvor verwischt und undeutlich gewesen war, erhielt nun klare, kantige Umrisse: Das Dorf war weggefegt, die Trümmer verstreut, als habe ein Bombardement stattgefunden. Dieser Trümmerhaufen jedoch war umgeben von zersplitterten und abgebrochenen Palmen. Mitten in diesem Wirrwarr von verbogenen Stämmen und Baumstümpfen lag ein Schiff. Das Schiff lag auf der Seite. Der Bauch war mennigrot. Darauf jedoch glänzte – ja, das war tatsächlich Sonnenschein!
    Es gab nur ein Schiff von dieser Größe auf Tonu'Ata: die ›Paradies‹.
    Diesmal hatte es auch den alten Antau gepackt. Er stand neben Hendrik und stieß einen heiseren Tierlaut aus, etwas, das nach Überraschung und Staunen klang. Dann sagte er ein paar Worte, aber sie gingen im Geräusch des herabschießenden Bergwassers unter.
    Antau schlug ein Kreuz. Wo hatte er nur gelernt, ein Kreuz zu schlagen? fragte sich Hendrik. Das heißt – hatte ihm Ron nicht irgend etwas von einem Missionar erzählt? Vage erinnerte er sich …
    Ron … Falls Tama recht gehabt hatte und Ron sich doch auf dem Schiff befand … Vielleicht war sie selbst dort? Aber wer konnte diese Strandung überlebt haben?
    »Hendrik!« Lanei'ta rief es erregt aus. »Das ist die ›Paradies‹ Himmel, wie ist denn …«
    Ja, wie war das möglich? Lanei'ta klammerte sich an seinen Arm.
    »Antau, gehst du mit?« fragte Hendrik den Alten.
    »Was denkst du denn?« sagte Antau.
    »Ich auch.« Lanei'ta ließ los.
    »Geht nicht. Denk doch an Jacky …«
    »In der Höhle sind genug Frauen, Hendrik.«
    »Trotzdem«, sagte er.
    Er hatte bereits die ersten Schritte getan – und den ersten Rutscher.
    »Hendrik! – Deine Tasche!«
    Wenigstens sie behielt einen klaren Kopf! Mann, wenn du diese Frau nicht hättest … Dr. Merz, die bewährte Fachkraft des RK-Notarzt-Teams, international anerkannt, mit Verdienstorden ausgezeichnet – und was tut er? Vergißt sein Besteck gleich beim ersten Einsatz! Hoffentlich braucht er es nicht …
    Er nahm die Tasche und nickte ihr zu. Dann begann die Rutschfahrt. Eine Rutschfahrt war's nicht allein, auch ein Waten in Dreck und Schlamm. Dreimal sackte er bis zu den Knien ein, und Antau mußte ihn herausziehen.
    Sie hatten den falschen Weg gewählt. Nur hundert Meter weiter rechts gab es ein Felsband, das sich zwischen den Gemüsegärten und Pflanzungen bis zum Rande des Dorfplatzes zog. Nur, daß es keine Gemüsegärten und Pflanzungen mehr gab. Nichts mehr gab es.
    Auch keinen Dorfplatz.
    Aber als sie auf Fels stießen, ging es besser.
    »Achtung, Hendrik!«
    »Gottverdammich …« Die Erde hatte sich geöffnet und schickte einen Geysir braungurgelnden Wassers in die Luft. Als sie es trotz allem geschafft hatten, das Dorf zu erreichen, blieb Hendrik keuchend stehen. Das einzige, was sich aus der graubraunen Masse der Fale-Reste erhob, die alles bedeckte, waren die zementverfugten Basaltmauern, die Ron für die Krankenstation und die Werkstatt errichtet hatte.
    Antau hob den Arm und ließ seinen Finger kreisen. Das Gesicht war traurig.
    »Das bauen wir alles wieder auf, Antau.«
    »Ja.« Er zeigte seine wenigen Zahnstummel. »Und größer als zuvor.«
    Hendrik legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel. Nun lief ihm ein Schauer über den Rücken: Dunkle, graue Wolkenmauern – Wolkentürme, wohin man auch sah. Wie die Wände eines Höllengefängnisses umschlossen sie selbst hinter den Bergen das bißchen Ruhe, das bißchen Licht, das der Sturm ihnen nun ließ.
    Das Auge des Orkans … Aber die Wolken näherten sich, um erneut über sie hereinzubrechen. Dreißig Kilometer – er erinnerte sich, daß er das irgendwann aufgeschnappt hatte – dreißig Kilometer kann der Kern eines Hurrikans betragen. Das hier war weniger, viel, viel weniger
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